Neues Glück für Gisela
wohnliches Gepräge.
„Und jetzt“, sagte Willi, „werden wir an die Arbeit gehen, Jungen. Wenn Fräulein Ryssel das nächste Mal kommt, werden wir die Möbel hier im Wohnzimmer gestrichen haben. Wer macht mit?“
„Ich… ich!“ schrien mindestens zehn Buben.
„Welche Farbe sollen wir denn nehmen, Fräulein Ryssel?“ Gisela stand noch auf der Leiter, dort und da eine Falte zu ordnen. Sie schaute lächelnd hinunter in Willi Strandens Gesicht und in die frohen Bubenaugen ringsum.
„Was sagen Sie zu Apfelgrün in dieser Ecke hier? Der Tisch, das Bücherregal und die Stühle dort in einem warmen gelben Ton? Es ist so lustig, ein bißchen die Farben zu mischen. Und dann kommen noch ein paar dekorative Sofakissen auf den Wunschzettel, grau und grün, mit einem Stich Rot hier und da.“ Willi lachte.
„Na, wie gut, daß wir den sicheren weiblichen Geschmack zu Rate ziehen können“, sagte er. „Und weiter?“
Gisela sprang von der Leiter, blieb stehen und sah sich um.
„Ihr habt doch allerhand hübsche Pflanzen im Garten“, sagte sie. „Könnt ihr nicht etwas davon eintopfen? Ich finde, die Fensterbretter sehen so kahl aus.“
„Das wäre eine Aufgabe für Gunnar und Knut“, bestimmte Willi, „die sind ja unsere Gärtner, die verstehen etwas von Blumen. Was meint ihr dazu?“
Die Jungen meinten nur Positives.
Im Nähzimmer ratterte Tante Marthe an der neuen Maschine, mit einem glücklichen Lächeln auf dem gütigen, runzligen Gesicht. Hei, wie die Arbeit jetzt rasch von der Hand flitzte! Tante Marthe hatte ihren eigenen Augen fast nicht getraut, als die leichte kleine Nähmaschine vor sie hingestellt wurde und Fräulein Ryssel ihr die wenigen einfachen Handgriffe gezeigt hatte. Rrrrrrrrutsch – und eine Naht war fertig. Rrrrrrrrutsch, schon wieder eine. Und all die Stücke, die sie zum Umrändern bekommen hatte! Lauter hübsches, sauberes, nicht kaputtes Zeug! Tante Marthe fuhr liebkosend über die guten Stoffe. Sie seufzte, wenn sie daran dachte, womit sie im Laufe der Zeit sich hatte plagen und abrackern müssen. Die Wohltätigkeit hat ja so viele verschiedene Formen und treibt seltsame Blüten, und Tante Marthe kannte sie alle. Sie kannte die milden Gaben, die dem Satz entspringen: „Ach, die Armen, sie haben so wenig, da sind sie sicher um alles froh, was sie bekommen, auch wenn es Löcher hat.“ – Sie kannte auch die Form: „Ach, jetzt müssen wir aber sehen, die Lumpen loszuwerden, gibt es denn kein Heim oder dergleichen, wo wir sie hingeben können?“ Oder: „Ja, waschen und flicken müssen sie das Zeug natürlich selber.“ Aber sie kannte auch die Einstellung: „Nein, was wir weggeben, soll rein und nett und ganz sein.“ Und sie dachte an den Heimleiter, der einmal erzählte, Luther hätte ein nagelneues Kleidungsstück weggegeben mit der Begründung: „Lumpen haben die Armen selber.“
Sie mußten Luthers Einstellung gehabt haben, jene Menschen, die Fräulein Ryssel diese guten Sachen geschickt hatten. Tante Marthe schnitt lustig drauflos, heftete und nähte, so daß sie dabei die Zeit vergaß. Knabenhosen und Joppen und Leibwäsche entstanden unter ihren fleißigen, flinken Händen, und die Maschine sang dazu eine glückliche Melodie.
In das Knabenheim Siebeneichen war Sonnenschein gekommen.
„Und jetzt“, sagte Willi Stranden, „jetzt begehe ich die größte Frechheit meines Lebens. Wollen Sie mit uns zu Abend essen, Fräulein Ryssel? Kommißbrot mit Margarine, selbstgemachten Käse, selbstgezogenes Obst, selbsteingemachte Marmelade. Zum Trinken Milch. Und alles auf dem Wachstuch serviert. Na, was sagen Sie dazu?“
„Da sage ich nur ja, vielen Dank“, lächelte Gisela, „ganz entschieden ja. Danke sehr.“
„Fräulein Ryssel“, es war Rolf, der sie am Ärmel zupfte, „Sie wollten sich doch meine Kaninchen ansehen?“
Giselas Herz machte einen Hopser. War dies Rolf? War das der höflich abweisende, verschlossene Junge, dem sie nie nahekommen konnte? Jetzt waren seine Augen eifrig und blank, und sein Arm lag vertrauensvoll auf dem ihren.
Am liebsten hätte Gisela jetzt den Buben fest an sich gedrückt. Aber sie war vernünftig geworden, sie hielt sich zurück. Sie lächelte ihm nur zu und sagte freundlich: „Das will ich gern, Rolf. Ich mag Tiere sehr, mußt du wissen. Als ich klein war, hatte ich selber Kaninchen. Haben wir Zeit, noch vor dem Abendessen hinauszugehen?“
„Doch, ja.“ Rolf war schon auf dem Weg zur Tür.
Vor den Kaninchenkäfigen war
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