Neues Glück für Gisela
schönen Märchenbilder aus ihrem eigenen Kinderzimmer verehrt und Willi gesagt, da müßten sie nun wirklich auch einen neuen Anstrich spendieren. Ob nicht vielleicht die Geschicktesten der großen Jungen einen niedrigen Kindertisch und einige kleine Hocker zusammenbasteln könnten?
In ihrem Fahrradkorb hatte Gisela einige Meter kleingemusterten Stoff für Gardinen und Bettüberwürfe. Ja, ja, die Babys sollten einen hübschen, gemütlichen Raum bekommen.
Diese Babys standen ihrem Herzen so nahe. Bei denen war es nicht nötig, nüchtern und diplomatisch zu sein. Da gab es keine Hemmungen. Die Kleinen streckten ihr die molligen Ärmchen entgegen. Sie wollten auf „Tante Gigis“ Schoß und sich an sie schmiegen.
„Tante Gigi“ hatte eine unermüdliche Geduld mit den Kleinen. Sie erzählte Märchen, beantwortete viele und oft kuriose Fragen, sie half beim Ausziehen und Baden, und die Kleinen liebten sie.
Aber tief in Giselas Unterbewußtsein rumorte ein Gedanke, den sie nicht ans Tageslicht lassen wollte, der nie Form oder Wort annehmen durfte.
Dieser Gedanke kreiste immer, immer um dasselbe. Unter der Wirksamkeit bewußter Gedanken, unter der Freude an der Arbeit auf Siebeneichen und all der Güte, die ihr dort begegnete, lag er und murrte: Kein Mann der Welt eignet sich besser dazu, selbst Kinder zu haben als Willi. Er ist jung, gesund, intelligent. Er wird einmal heiraten. Er wird ein gesundes, frisches Mädchen heiraten, das ihm Söhne und Töchter schenken kann.
Dieser Gedanke bohrte in Gisela. Sie versuchte, ihn zu unterdrücken und zwang sich, sich auf die Babys und deren Schlafzimmer zu konzentrieren, auf Rolf und seine Kaninchen und auf die guten, gehaltvollen Gespräche, die sie mit Willi hatte. Unbewußt suchte sie wohl auch Trost in dem Gedanken, daß Willi so schrecklich viel zu tun hatte und ganz in seiner Arbeit aufging, daß er weder Zeit noch Gelegenheit hatte, Bekanntschaften zu machen.
Vielleicht dachte er gar nicht an Heirat.
Aber dieser Gedanke tat auch weh. Ob sie sich die Zukunft so oder so vorstellte, tat es weh. Daß er eine andere als sie heiraten, oder – das Allerschlimmste – wenn er sie selbst haben wollte und sie genötigt wäre, nein zu sagen…
Die Gedanken gingen im Kreis, und Gisela versuchte sie wegzuschieben. Sie freute sich darauf, nach Siebeneichen zu kommen, freute sich, daß sie sich gesund und stark fühlte und ihre Arbeit munter vonstatten ging. Sie freute sich, daß sie nun mit ihrer Klasse gut in Kontakt war. Sie hatte viel, worüber sie sich freuen konnte.
Sie war beinahe bis an die Kreuzung gekommen, wo der Waldweg nach Siebeneichen abzweigte. Gerade hier, diese letzten Meter, war der Weg schmal und der Abhang zum Fluß hinunter steinig. Als sie das Knarren von Wagenrädern hörte, stieg sie vom Rad ab und zog es auf die Seite. Himmel, wie warm ihr geworden war! Sie knüpfte ihr blaues Halstuch auf und ließ es lose über die Schultern hängen.
Da kam ein Karren in recht rascher Fahrt den Waldweg herunter und bog in die Hauptstraße ein. Das Pferd war in Trab, und jetzt sah Gisela, wer auf dem Karren saß. Es war Rolf. Richtig, er hatte ihr ja erzählt, daß er manchmal mit dem Wagen des Milchmanns fahren und lenken durfte.
Und da, in dem Augenblick, als sie die Hand erhob, um Rolf zuzuwinken, kam ein Windstoß, riß ihr das Halstuch von den Schultern und blies es dem Pferd direkt über die Augen.
Alles andere geschah dann in einem wahnsinnigen Tempo.
Das Pferd scheute und bäumte sich auf. Gisela sah das Weiße in seinen Augen, sie sah die zappelnden Vorderbeine. Dann machte es einen Sprung. Der Karren schleuderte gegen den Straßenrand und Rolf verlor die Zügel.
Gisela hatte in dem Augenblick keinen klaren Gedanken. Sie handelte rein instinktiv. Es war ihr selbst kaum klar, daß sie sich in dem Augenblick, wo das Pferd zum Galopp ansetzte, gegen seine Flanke warf. Sie hatte nur einen Gedanken: Die Zügel! Die Zügel! Ein Griff mit der ausgestreckten Hand - etwas wurde durch ihre Hände gezogen – es brannte wie Feuer auf der Handfläche. Aber Gisela hielt fest. Das Pferd raste in gestrecktem Galopp den schmalen Weg entlang. Rolf hielt sich fest. Sein Gesicht war totenblaß.
Aber Gisela hielt sich an die Zügel festgeklammert. Sie wurde mitgeschleppt – sie lag im Straßenstaub und wurde erbarmungslos an den Armen gezerrt. Sie fühlte, wie ihre Kleider in Fetzen gerissen wurden, fühlte Schläge und Stöße und brennenden Schmerz im Körper. Aber
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