Neues Glück für Gisela
nichts mehr von seiner früheren Schweigsamkeit und Zurückhaltung zu spüren. Er erzählte und gab Erklärungen über Rassen und Kreuzungen, mit einer Unbefangenheit, die es Gisela klarwerden ließ, daß die Fortpflanzung für ihn in keiner Weise von Heimlichkeit oder Mystik umgeben war. Er erklärte froh und zutraulich, daß dieses Kaninchen trächtig war und jenes Weibchen jetzt gepaart werden sollte, dann wären die Jungen gerade groß genug, um zu Weihnachten für das Heim geschlachtet zu werden. Er zeigte ihr extra Kisten mit kleinen blinden Kaninchen vom letzten Wurf und winzig kleine Futterkrippen aus Stahldraht und erklärte, was, wie oft und wieviel er fütterte.
Gisela tat nicht interessiert, sie war es wirklich. Zum Schluß sagte sie, wenn er zwanzig Felle gesammelt habe, entweder schwarze oder weiße oder silbergraue, dann solle er es sie wissen lassen.
Vielleicht könnten sie einen Handel machen.
Für einen Augenblick kam der wachsame Ausdruck, den sie so gut an ihm kannte, in seine Augen zurück, und Gisela verstand ihn. Aber sie verjagte jedes Mißtrauen, es könne sich um Wohltätigkeit handeln, dadurch, daß sie sagte: „Weißt du, es ist immer billiger, direkt vom Produzenten zu kaufen. Ich habe mir schon lange eine schicke kleine Pelzjacke gewünscht, aber wenn ich sie fertig kaufen müßte, wäre sie schrecklich teuer. Also, wenn du mir ein paar Felle zum Winter verschaffen kannst…?“
Rolf strahlte sie an. „Aber gewiß, das kann ich sicher. Ich werde es mir sofort aufschreiben, damit ich es nicht vergesse.“
Er hatte jetzt einen ganz erwachsenen und geschäftsmäßigen Ton in der Stimme, und Giselas Herz war wieder völlig erfüllt für den kleinen Kerl. Die Tierliebe schuf einen Kontakt zwischen ihnen. Als sie zusammen ins Heim zurückgingen zum Abendbrot, erzählte Rolf, daß er vor allem Pferde gern hätte und oft das Pferd des Milchmanns lenken dürfe.
„Es kommt also ein Milchmann ins Haus?“ fragte Gisela. „Ihr könntet doch eigentlich selbst Kühe halten, man sollte meinen, daß es hier auf eurem Grundstück genug Futter gibt.“
„Vielleicht kriegen wir einmal welche“, sagte Rolf. „Das ist etwas, das wir uns schon lange wünschen. Zwei Kühe und ein Pferd. Aber alles ist jetzt so teuer, wir müssen also warten, meint Willi.“
„Ihr wünscht euch also auch ein Pferd?“
„Ja, wünschen kann man ja“, lachte Rolf. „Es wäre schon notwendig, ein eigenes Pferd zum Pflügen und dergleichen zu haben. Ja, hier in diesem steilen Gelände ist man schon von Pferden abhängig. Unser Bauer, der uns die Milch bringt, sagt auch, mit einem Trecker und so was kann er nichts anfangen. Aber die Kühe, die würden doch auf dem Wunschzettel obenan stehen.“
„Wir“ und „unser“. Rolfs Geplauder bestärkte Gisela in dem Eindruck, daß hier alles gemeinsam war, eine echte Gemeinschaft, eine Kameradschaft und ein festes Vertrauen herrschte, das sie in einem Knabenheim anzutreffen nicht erwartet hatte.
Alles in allem, Gisela mußte ihre Begriffe über Knabenheime gründlich korrigieren.
Dann saß sie neben Willi Stranden am Ende des langen, wachstuchbezogenen Tisches inmitten der Bubenschar. Sie konnte sich nicht erinnern, daß ihr je eine Mahlzeit besser geschmeckt hätte als diese hausgebackenen Kommißbrotschnitten, der selbstbereitete Käse und die Marmelade aus eigener Obsternte. Die Milch war frisch gemolken und fett. Sie begriff, daß die Kost, so einfach, billig und anspruchslos sie auch war, doch mit Vernunft und Überlegung zusammengesetzt wurde.
Die Buben hauten mit Riesenappetit ein. Es war eine Lust, ihnen zuzusehen. Gisela blickte über sie hin. Alle sahen frisch und munter aus. Es gab kein Sprechverbot bei Tisch. Muntere Fragen und eifrige Antworten kreuzten einander, und Willi Stranden war einer der eifrigsten unter ihnen.
Die einzige Ermahnung, die Gisela hörte, war an einen Buben gerichtet, der sich in seinem Eifer keine Zeit nahm, erst fertig zu kauen.
Willi Stranden sagte lächelnd: „Halt, halt, Per! Nicht gar so eifrig! Du weißt, Wörter und Essen sollen lieber nicht in deinem Mund übereinanderpurzeln.“ Per lachte, befolgte die Ermahnung, kaute erst fertig, und dann kam seine Frage.
Willi zog auch Gisela mit ins Gespräch. Wenn sie sprach, begegnete sie interessierten, vergnügten Gesichtern. Es bestand kein Zweifel, die Jungens hatten sie anerkannt.
Eine große, warme Freude erfüllte sie.
Nach dem Abendessen hatten Gisela und Willi
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