Neugier ist ein schneller Tod - Neugier ist ein schneller Tod - A Mortal Curiosity
seinem tragbaren Gefängnis tat es ihr nach und rollte sich ebenfalls zum Schlafen zusammen.
Dr. Lefebre und ich begannen uns in gedämpftem Tonfall zu unterhalten, während ein leises Schnarchen aus dem Korb und ein etwas lauteres von der alten Lady das Hintergrundgeräusch bildeten.
Der Doktor hatte den Seidenschal abgenommen und fein säuberlich gefaltet in eine Tasche gesteckt. Nun zog er aus einer weiteren Tasche ein kleines, zerknittertes, gefaltetes Blatt Papier, das er sorgfältig entfaltete und glättete, um es mir zu reichen. Ich nahm es einigermaßen verblüfft entgegen und sah, dass es sich um eine Rechnung seines Stiefelmachers handelte.
»Es war alles, was ich zur Hand hatte«, gestand er entschuldigend. »Reiner Zufall, dass es noch in meiner Tasche steckte – sie hätten den Leichnam ohne Zweifel weggeschafft, wenn ich losgegangen wäre, um ein geeigneteres Blatt Papier zu suchen.«
Ich drehte die Rechnung um und entdeckte auf der Rückseite eine grobe Skizze. Sie zeigte den Umriss einer menschlichen Gestalt, ein paar Kreise, beschriftet als Rhododendren-Büsche, Pfeile, welche dieRichtung anzeigten, in der das Haus stand, der Strand lag und der Pfad sich erstreckte, den Mrs. Craven nach Meinung von Dr. Lefebre an der Seite des Hauses entlang in den Garten genommen hatte.
»An Ihnen ist ein Detective verloren gegangen, Sir!«, sagte ich. Es war nicht sarkastisch gemeint – ich war tatsächlich beeindruckt.
»Nein, nein«, erwiderte er und schüttelte den Kopf. »Mein Beruf erfordert es, genau zu beobachten und Notizen anzufertigen, um eine akkurate Diagnose erstellen zu können.«
Dann erklärte er, wie er vorne am Haupttor gewartet hatte, während der Stallbursche ein Pferd für ihn gesattelt hatte, als Mrs. Craven und Lizzie die Straße entlanggekommen waren auf dem Heimweg von ihrem Spaziergang. Bei seinem Anblick war Mrs. Craven in eine Art Panik geraten und in die Richtung davongelaufen, die durch die Pfeile angezeigt wurde.
»In Panik geraten?«, fragte ich.
»Sie denkt, dass ich einzig zu dem Zweck nach Shore House gekommen bin, sie für geistig unzurechnungsfähig zu erklären.«
»Und? Sind Sie aus diesem Zweck nach Shore House gefahren?«
»Nein«, sagte Lefebre kühl. »Ich bin lediglich als Beobachter im Auftrag meines alten Freundes Charles Roche dort. Er ist wegen seiner geschäftlichen Verpflichtungen nicht imstande, selbst hinzufahren. Miss Martin hat ihnen von Mrs. Cravens Umständen geschrieben?«
»Ein wenig«, sagte ich. »Sie hat gleich am Abend ihrer Ankunft geschrieben und hatte vorher wenig Zeit, sich mit Mrs. Craven zu unterhalten.«
»Dann hat sie Ihnen also nichts von Mr. James Craven berichtet? Ah, das dachte ich mir.« Lefebre erzählte die Geschichte von James Craven, die er, wie ich später herausfand, auch Lizzie bereits erzählt hatte.
»Hat irgendjemand vom jungen Craven gehört, seit er in den Fernen Osten aufgebrochen ist?«, fragte ich.
»Seine Frau hat nichts von ihm gehört, genauso wenig wie Charles Roche. Doch er kam sicher und wohlbehalten in Kanton an und hat sich in Roches hong , wie man ein Warenlager in China nennt, vorgestellt. Roche erhielt einen Brief von seinem Agenten, der ihn über diese Tatsache informierte. James Craven ist in einem Bungalow untergebracht, ohne irgendwelche Kosten, und ein chinesischer Hausdiener kümmert sich um sein Wohlergehen. Der Agent hat bereits die ersten Abschläge seiner Apanage ausgezahlt. Für einen Burschen, der nichts außer Schulden besaß und keinen einzigen eigenen Penny, als er zum ersten Mal in London aufgetaucht ist, hat er es meiner Meinung nach recht weit gebracht«, schloss Lefebre kühl.
»Er wird sich einsam fühlen, so weit weg von zu Hause«, bemerkte ich.
»Es gibt andere von seiner Sorte, die ihm Gesellschaft leisten und ihm dabei helfen, seine Apanage zu verspielen. Abgesehen davon …« Lefebre legte eine Hand an den Mund, hüstelte vornehm und warf einen Blick auf die schlafende alte Lady. »Europäer in seiner Lage nehmen sich üblicherweise eine Konkubine, und ich wage zu behaupten, dass Craven es nicht anders machen wird, zu gegebener Zeit.«
All das klang in meinen Ohren höchst ungebührlich, doch meine Aufgabe waren die Bewohner von Shore House und nicht jemand, der auf der anderen Seite der Welt lebte und inmitten von bunten Lampions, Opiumrauch und in Seide gekleideten Damen ein entspanntes Leben führte.
Ich blickte erneut auf das Blatt Papier in meinen
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