Neugier ist ein schneller Tod - Neugier ist ein schneller Tod - A Mortal Curiosity
Phoebe seufzte und schüttelte resigniert den Kopf. »Meine Schwester und ich haben unser Bestes für die liebe Lucy getan«, fuhr sie unvermittelt fort. »Ich weiß, dass Charles, mein Bruder, Sie hergeschickt hat,weil er glaubte, dass Lucy von jüngerer, lebendigerer Gesellschaft profitieren und sich ihr vielleicht anvertrauen könnte. Wir alle machen uns große Sorgen um sie. Ich nehme an, Charles glaubt … das heißt, er ist überzeugt, dass wir nicht genug getan haben, um zu verhindern …«
Sie brach wirr ab. Ich nahm an, sie hatte die hastige Hochzeit zwischen Lucy und James Craven erwähnen wollen.
»Ich bin sicher, Sie haben stets alles in Ihrer Kraft Stehende getan, Ma’am«, sagte ich artig.
Es war nicht die Schuld der Schwestern, dass sie so völlig ungeeignet waren, mit Lucys Problemen umzugehen. Die Frage, ob sie die Liebesaffäre hätten verhindern können, stand auf einem anderen Blatt. Junge Liebesbeziehungen scheinen manchmal erst recht zu gedeihen, wenn sie auf eine starke Opposition treffen, und die Liebenden sind sehr erfinderisch, was Mittel und Wege angeht, sich heimlich zu treffen. Nach allem, was ich von Lefebre bezüglich James Craven gehört hatte, war es für die Schwestern mehr oder weniger unmöglich gewesen, ihn auszumanövrieren. Und wäre es ihnen gelungen, wäre Lucy möglicherweise mit Craven durchgebrannt.
Einmal mehr überging ich den Inhalt der folgenden Konversation, weil ich keinen Sinn darin sah, Ben damit zu belasten.
Miss Phoebe hatte mich zwischenzeitlich langsam von oben bis unten in Augenschein genommen, auf eine nicht zudringliche, jedoch sicherlich beunruhigende Art und Weise. »Sie halten sich sehr gut, Miss Martin«, sagte sie schließlich. »Und obwohl Sie keine Schönheit sind, besitzen Sie Ausstrahlung, wie man das glaube ich nennt, und eine gewisse Attraktivität.«
All dies brachte sie so unschuldig hervor, dass ich dachte, ihre Worte wären als Kompliment gemeint, und dementsprechend reagierte, wenngleich ich nicht den Hauch einer Idee hatte, wieso sie damit angefangen hatte.
»Meine Nichte ist sehr schön, meinen Sie nicht?«, waren ihre nächsten Worte.
»Das ist sie in der Tat«, pflichtete ich bei.
»Wenn es ihr gut geht, ist sie wunderschön, das habe ich immer gedacht. Jetzt im Augenblick geht es ihr nicht sehr gut. Es ging ihr nicht gut, seit das Baby gestorben ist. Schon davor, schon als Mr. Craven nach China aufbrach, fiel sie in eine Depression. Meine Schwester machte ihr Vorwürfe deswegen. Sie sagte ihr, eine Roche sollte gefälligst mehr Charakterstärke zeigen. Es tat mir sehr leid, als das Baby starb.« Sie seufzte. »Ich für meinen Teil war nie eine Schönheit. Ich war immer ein nichtssagendes Kind und eine nichtssagende junge Frau. Und heute bin ich eine nichtssagende alte Frau.«
Ich schätzte Miss Phoebe nicht älter als vielleicht fünfzig Jahre. Als eine Frau, die selbst schnell auf die dreißig zuging, betrachtete ich das nicht als besonders alt. Mit einiger Verärgerung sinnierte ich, dass die Gesellschaft einen alleinstehenden Gentleman von fünfzig Jahren immer noch als begehrenswerte Partie betrachtete. Ein dreißigjähriger war mehr oder weniger ein grüner Bursche! Warum wurden Frauen so grausam behandelt? Ich wartete schweigend, weil ich annahm, dass sie mir etwas sagen wollte.
Sie beugte sich vor und senkte die Stimme wie jemand, der im Begriff steht, ein Geheimnis zu verraten. »Ich habe häufig gedacht, dass es ein Glücksfall war, so nichtssagend zu sein. Nicht, als ich jünger war. Natürlich nicht. Damals wollte ich hübsch sein, so wie Lucy es heute ist. Heute jedoch, wenn ich über die traurige Situation meiner Nichte nachdenke, glaube ich, es ist ein Segen für jede Frau, ohne gutes Aussehen geboren zu werden. Es erspart ihr so viel Ärger und Sorgen.«
Mit diesen Worten lächelte sie mich freundlich an, drehte sich um und stieg die Treppe hinunter. Wie es aussah, hatte sie ihren Plan aufgegeben, an Lucys Tür zu klopfen.
Ich blieb perplex stehen und fragte mich, ob sie versucht hatte, mehr anzudeuten, als ihre Worte ausgedrückt hatten. Vielleicht war es Phoebe, die jemanden brauchte, dem sie sich anvertrauen konnte?
Letzten Endes verbannte ich sämtliche Gedanken daran fürs Erste aus meinem Kopf und folgte Phoebe nach unten.
Ben starrte mit nachdenklichem Gesicht zu Boden und brütete allem Anschein nach über den Dingen, die ich ihm erzählt hatte, deswegen unterbrach ich meinen Bericht an dieser
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