Neugier und Übermut (German Edition)
persönlicher Referent von Willy Brandt zu unserem Kreis gehörte, saßen wir hin und wieder sogar in Brandts Domizil auf dem Venusberg. Häufig war er selbst gar nicht da, und seine liebenswerte Frau Rut bewirtete uns. Immer mehr Freunde begannen für Willy Brandt zu arbeiten. Von der Süddeutschen Zeitung wechselte Uwe-Karsten Heye in die Pressestelle der Partei. Und auch Martin Süskind, Bruder von Patrick, verließ die SZ, um für Brandt Reden zu schreiben. Eines Tages fragte mich Uwe-Karsten Heye, ob ich Lust hätte, für zwei Jahre in den »Schreiberpool« von Brandt ins Kanzleramt zu wechseln. Ich war begeistert. Zwei Jahre für Brandt zu arbeiten, sagte ich mir, wären für mich unbezahlbare Lehrjahre. Also sagte ich zu und kündigte dies beim WDR an. Höfer und Casdorff verstanden meine Entscheidung.
Dann erklärte mir Uwe-Karsten Heye, ich solle mich wegen der Modalitäten mit einem Mitarbeiter des Kanzleramts treffen. Ich hatte dessen Namen noch nie gehört. Günter Guillaume. Wir trafen uns zu einem ersten Gespräch im Bundestag. Er wirkte in seinem unscheinbaren grauen Anzug wie ein spießiger Amtmann auf mich. Guillaume bat um einige Unterlagen, um meinen Lebenslauf, etc. Die Papiere brachte ich ihm zum zweiten Treffen mit. Er sagte: »Ich fahre jetzt zwei Wochen in Urlaub nach Südfrankreich. Wenn ich zurück bin, machen wir die Sache perfekt.«
In diesen vierzehn Tagen in Südfrankreich wurde Guillaume als DDR-Agent festgenommen. Wenig später trat Brandt zurück.
Und ich blieb, wo ich war.
Wer für den Visionär Willy Brandt schwärmte, der hatte seine Schwierigkeiten mit Helmut Schmidt, dem manch einer auch noch nachsagte, er sei am Sturz von Willy Brandt beteiligt gewesen. So war es aber nicht. Helmut Schmidt, den ich inzwischen hoch achte, hat mir sehr viel später seine Sicht erzählt. Willy Brandt, Herbert Wehner und Helmut Schmidt hatten sich in Klausur nach Bad Münstereifel in das Tagungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung zurückgezogen.
»Als mir Brandt gesagt hat, er wolle zurücktreten«, sagte Schmidt, »habe ich ihn angeschrien, er solle das nicht tun. Ich fand den Grund einfach nicht angemessen. Sicher hat da auch eine eigene Angst vor dem Amt mitgespielt, genauer gesagt: vor der Verantwortung, die das Amt mit sich bringt. Für mich kam das ziemlich überraschend. Ich habe mich dieser Herausforderung im ersten Moment nicht unbedingt gewachsen gefühlt.«
Helmut Schmidt hatte Angst? Das kann man sich eigentlich nicht vorstellen. Aber er hat das ernsthaft wiederholt.
»Was hat Ihnen der Mensch Willy Brandt bedeutet?«, fragte ich Schmidt.
»Willy Brandt war für mich seit dem Ende der fünfziger Jahre eine geliebte, hoch respektierte Führungsperson. Diese unbedingte Bereitschaft, sich seiner Führung anzuvertrauen, hat in den späten sechziger Jahren abgenommen. Dafür gab es mehrere Gründe. Ein wichtiger Grund war die von der Regierung Kiesinger-Brandt entworfene Notstandsgesetzgebung.«
Brandt kämpfte bei den eigenen Leuten nicht für das umstrittene Gesetz, sondern »es brauchte die Überzeugungsarbeit von Barzel und Schmidt, damit wir die Sache, zwar mit wesentlichen Änderungen, aber auf jeden Fall im Paket hinbekommen haben. Aber noch einmal zu Brandt: Dass er nicht zu dem stand, was er zuvor auf den Weg gebracht hatte, nur weil es Kritik in den eigenen Reihen gab, hat unser Verhältnis abkühlen lassen.«
Der größte Gegensatz zwischen den beiden wurde aber erst später deutlich.
Helmut Schmidt drängte den amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter, auf die sowjetische Bedrohung durch die SS-20-Atomraketen mit der Stationierung der Pershing in Europa zu antworten. Willy Brandt als SPD-Parteichef sprach auf Veranstaltungen der Friedensbewegung dagegen. Auch dazu habe ich Helmut Schmidt befragt.
»Es hat tatsächlich ziemlich lange gedauert«, sagte er, »bis sich die Amerikaner von den hartnäckigen Reden und Einwürfen des Deutschen Schmidt beeindrucken ließen. Jetzt lud Carter zu einer Konferenz in das Weiße Haus ein, an der die Regierungschefs der beiden europäischen Nuklearmächte England und Frankreich sowie der deutsche Bundeskanzler teilnehmen sollten. Mein Freund Giscard hat einem solchen Vierertreffen sofort zugestimmt, wollte aber sich und die anderen beiden Europäer nicht zum Rapport nach Washington vorladen lassen. Er schlug als Gesprächsort die französische Karibikinsel Guadeloupe vor, wo das Treffen tatsächlich zustande kam. Giscard und
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