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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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Sache, sondern auch innenpolitisch, denn anders als der Kanzler unterstützte seine Partei unter dem Vorsitzenden Willy Brandt eher die Friedensbewegung als den Einsatz neuer Raketen.
    Als das Gespräch zu Ende war, wies der Regierungssprecher den Kanzler darauf hin, dass seine Formulierung zur Frage der Raketen nicht hundertprozentig dem NATO-Beschluss entspreche. Während Schmidt sich anhörte, was sein Sprecher sagte, klopfte er aus einer kleinen Dose weißen Schnupftabak in die Kuhle an der Wurzel seines linken Daumens.
    Da ritt mich der Teufel.
    Ich fragte den Bundeskanzler: »Schnupfen Sie nur oder spritzen Sie auch?«
    Noch heute wird mir schwummerig, wenn ich daran denke, wie der bis dahin so äußerst grantige Regierungschef hätte reagieren können.
    Helmut Schmidt lachte laut auf. Und dann sagte er einen verräterischen Satz:
    »Ich schnupfe nur. Und ich weiß, Sie sind einssechsundneunzig groß.«
    Sigmund Freud würde wahrscheinlich sagen, das sei der erlösende Satz gewesen.

    Ich hatte Helmut Schmidt schon häufig vor der Kamera befragt, wenn er zu politischen Gesprächen nach Paris gekommen war. Einige Monate zuvor hatten wir ein Interview für den Bericht aus Bonn in dem ehemaligen Arbeitszimmer des einstigen preußischen Gesandten Otto von Bismarck im Palais Beauharnais, der Residenz des Deutschen Botschafters aufgenommen. Die Kameras waren aufgebaut, das Licht gesetzt. Wir warteten auf den Bundeskanzler. Sein Gespräch mit Premierminister Barre unten im Salon dauerte länger als geplant. Es gab Schwierigkeiten. Wir warteten bestimmt zwei Stunden. Dann rauschte der Kanzler in den Raum. Schmidt hatte es eilig. Er wollte so schnell wie möglich nach Bonn zurückfliegen.
    Der Kanzler fragte: »Wo machen wir das Interview?«
    Ich sagte: »Am schnellsten geht’s im Stehen.«
    Ich gebe zu, dass ich das aus Bosheit sagte.
    Nach dem kindischen Motto: Der mag zwar Kanzler sein. Aber ich bin einssechsundneunzig groß. Denn ich überragte Schmidt, dem man nachsagte, er trage besonders hohe Absätze, um mindestens einen Kopf. Der Kanzler stellte sich hin, ich nahm auf der Lehne eines Sessels Platz, damit wir auf Augenhöhe waren. Die Aufnahme war nach wenigen Minuten im Kasten. Der Kanzler rauschte ab.

    Bei Helmut Kohl kam meine Länge ganz anders ins Spiel.
    Im Juli 1991 fand der Weltwirtschaftsgipfel in London statt. In diesen Tagen sendeten wir die Tagesthemen live aus der britischen Hauptstadt, unsere Kameraposition befand sich direkt vor Westminster Palace. Kurz vor der Sendung wollte Bundeskanzler Kohl mir ein Interview über den Stand der Gespräche geben. Dazu war ich zu seinem Hotel gebeten worden, weil er sich dort für das Abendessen einen Smoking anziehen und seine Frau mitnehmen würde. Ich wartete also mit meinem Team. Frau Kohl stand bei uns. Wir machten Small Talk, und nebenbei frage ich sie: »Sie könnten mir helfen, eine Wissenslücke zu füllen. Ich bin einssechsundneunzig. Wie groß ist eigentlich Ihr Mann?«
    Sie antwortete spontan: »Er ist zwar nur einszweiundneunzig. Aber er ist größer als Sie!«

    Konrad Adenauer habe ich nicht mehr persönlich gekannt, aber mein Vater war zumindest in seiner Nähe gewesen.
    Es muss 1955 gewesen sein. Ich war zwölf und ging in Heidelberg in das Kurfürst-Friedrich-Gymnasium. Bundeskanzler war Konrad Adenauer. Mein Vater war Hörspielautor, fuhr aber ab und zu nach Bonn, traf sich dort mit Leuten im Bundeskanzleramt, die wieder den Auswärtigen Dienst neu aufbauten. Und mein Vater wollte dazugehören. Einmal sagte er mir, er fahre zu einem wichtigen Mann, Herbert Blankenhorn, der arbeite beim Bundeskanzler Konrad Adenauer. Ich malte eine Karikatur von Adenauer und gab sie meinem Vater mit. Als er aus Bonn zurückkam, reichte er mir meine Zeichnung und sagte, Adenauer habe sie gesehen und abgezeichnet. Auf das Blatt hatte jemand mit einem roten Stift ein großes A geschrieben. Adenauer? Pustekuchen! Ich habe nichts davon geglaubt, es mir aber nicht anmerken lassen. Kinder durchschauen Erwachsene schneller, als die es vermuten. Diese Erfahrung habe ich selbst früh gemacht und respektiere seitdem selbst die kleinsten Geschöpfe wie Erwachsene.

    Als am 19. April 1967 alle Kirchenglocken in Bonn lange läuteten, wusste ich, Adenauer ist gestorben. Ich saß in meiner Studentenbude und büffelte Jura. Dann bekam ich die Nachricht, ich möchte mich im Bundespresseamt für einen eiligen Einsatz melden. Das Staatsbegräbnis wurde vorbereitet. Und dazu

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