Neugier und Übermut (German Edition)
Fernsehen hat meist den besten Zutritt, und fragte mich, ob er mit mir fahren könne. So würde er in unserem Gefolge auch Zugang zum Bundeskanzler finden. Wir bestellten noch ein Taxi und fuhren zu einer Villa in einem großen Park. Dort war der Bundeskanzler einquartiert worden.
Nachdem ich mein Interview mit dem Bundeskanzler geführt hatte, bat Helmut Schmidt uns zu einem Spaziergang im Garten. Unter einer Palme lagen herabgefallene Kokosnüsse. Schmidt war guter Laune. Er hob eine Kokosnuss auf und warf sie mir zu. Ich fing sie auf und warf sie zurück. Robert Held hatte flugs seine Leica in Anschlag gebracht und fotografierte den Bundeskanzler, der mit der Kokosnuss Ball spielte. Da warf Schmidt die Kokosnuss in hohem Bogen zu Held. Als Held die Nuss gefangen hatte, sagte Schmidt lachend: »Ich wollte nur mal sehen, ob Sie die Leica loslassen oder riskieren, von der Nuss getroffen zu werden.« Die Leica war weich auf den dicken Rasen gefallen.
Silvester verbrachten wir in Kingston mit Freunden von Roshans Fahrer in einer Garage bei Reggae-Musik und heißer Ziegensuppe.
Über Miami und von dort mit einem kleinen Inselhüpfer über Haiti und die Dominikanische Republik gelangten wir schließlich zum Gipfel nach Pointe-à-Pitre.
In Guadeloupe nahm die Bundesrepublik zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg gleichberechtigt an einem Gipfeltreffen der drei Westalliierten teil.
Das war neu, sonst aber verlief alles wie bei jedem anderen Gipfel. Alle Journalisten waren in einem großen Hotel neben dem Tagungsort untergebracht. Die Infrastruktur stimmte, die Straßen vom Flughafen bis zum Konferenzzentrum waren neu geteert und die Markierungen auf der Fahrbahn mit frischer Farbe gestrichen worden. So ist das in Frankreich: Hausputz bevor der Präsident der Republik kommt und Gäste empfängt.
Die Kameraleute durften für einen kurzen Moment bei den verschiedenen Tagesordnungspunkten drehen. Die Regierungssprecher unterrichteten uns von den Ergebnissen. Die drei Europäer haben Jimmy Carter von der Notwendigkeit überzeugt, auf die sowjetische Bedrohung mit den SS-20-Raketen zu reagieren. Wir setzten unsere Berichte ab und flogen, am Ende erschöpft, aber voller unvergesslicher Erlebnisse, wieder nach Hause.
Die Folgen des Gipfels waren gewaltig. Und die Zeitläufte bewiesen es Jahre später: Die Sowjetunion ging am Wettrüsten pleite.
Helmut Schmidt hatte recht, Willy Brandt hat sich geirrt.
Einerseits hat Schmidt geholfen, die Sowjets im Wettrüsten zu besiegen.
Andererseits hatte Willy Brandt den Grundstein für ein Ende des Kalten Krieges und die deutsche Einheit mit seiner Entspannungspolitik gelegt.
Im Herbst 1990 gab ich ein Buch mit dem Titel »Angst vor Deutschland« heraus, in dem András Hajdu, Planungschef des ungarischen Außenministeriums schrieb: »Bei der Teilung der Welt mussten auch unsere Gefühle, unsere Seele hinsichtlich der Deutschen geteilt werden: wegen der ›guten‹ und der ›schlechten‹ Deutschen. Aber das ist eigentlich nie gelungen.
In allfälligen Diskussionen über ›gute‹ und ›schlechte‹ Deutsche gab es nur eine unverrückbare Größe: Willy Brandt. Er und seine Ostpolitik können gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Er schuf in Osteuropa das öffentliche – und ›offiziell‹ bestätigte – Bild des guten Westdeutschen. Wir durften uns also nicht nur für Ulbricht und Honecker begeistern – was kaum jemand tat –, sondern auch für einen westdeutschen Politiker. Im Grunde hat die Herstellung der deutschen Einheit also in den Köpfen und in den Gefühlen der Ungarn, möglicherweise in Osteuropa überhaupt, mit der Ostpolitik begonnen.«
Was richtig war, das weiß man erst hinterher. Obwohl das nicht ganz stimmt. Journalisten, und da will ich mich nicht ausnehmen, gehören zu der Spezies von Wesen, die häufig alles auch schon vorher besser wissen. Sie wissen es besser als die Politiker, sie wissen es aber auch besser als die Kollegen.
Als Helmut Kohl mit dem ersten konstruktiven Misstrauensvotum in der Geschichte der Bundesrepublik Helmut Schmidt 1982 ablöste, da hieß er schnell »Birne«. Und es wurden Witze verbreitet, die zeigen sollten, wie »doof« Kohl ist.
Ein Witz ging so:
»Jemand stellt Genscher die Frage: Es ist weder Ihr Bruder noch Ihre Schwester und doch Ihrer Eltern Kind. Wer ist es?«
Genscher antwortet: »Na klar, das bin ich.«
Kohl hat das Fragespiel mitbekommen und geht zu Hannelore.
»Hannelore, wer ist es: weder mein
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