Neugier und Übermut (German Edition)
würden aus aller Welt Journalisten anreisen. Die müssten betreut werden von Leuten, die Englisch oder Französisch sprechen. Und da griff das Presseamt auf freie Mitarbeiter von Inter Nationes wie mich zurück. So bekam ich einen großartigen Job.
Mein erster Einsatzort war Rhöndorf. Ich wurde zum Haus des verstorbenen Kanzlers geschickt, und sollte früh morgens dort Stellung beziehen, wenn der Sarg mit dem Leichnam herausgetragen wurde, um im Kanzleramt in Bonn aufgebahrt zu werden. Mir hatte aber niemand so recht gesagt, was ich tun sollte. Ich zog also Anzug und Schlips an und stand um sieben Uhr morgens, eine entsetzlich frühe Zeit für mich, vor Adenauers Haus, das am Hang lag, die Straße führte bergab. Nun fühlte ich mich als Amtskraft und habe erst einmal einigen Fotografen gesagt, sie sollten hinter die Barriere zurücktreten. Das taten die zu meinem Erstaunen. Als dann der Sarg von acht Soldaten des Bundesgrenzschutzes würdevoll und langsamen Schritts aus dem Haus getragen wurde und dahinter die Familie lief, da dachte ich: Dann läufst du einfach auch hinterher, wenn auch in angemessenem Abstand.
Onkel Max, Tante Gisela und deren Kinder habe ich nicht gegrüßt. Vielleicht haben sie mich auch nicht wahrgenommen. Tante Gisela war eine Cousine ersten Grades meiner Mutter. Sie hatten dieselben Großeltern. Und Tante Gisela hat Max Adenauer geheiratet, Konrad Adenauers Sohn und späteren Stadtdirektor von Köln. Max wollte von jungen Leuten nicht Onkel genannt werden. Er war eine großartige Figur. Als ich während meiner Zeit bei Monitor eines Sonntags im Sommer zu einem »Weißwurschtessen« in den Garten nach Bad Godesberg einlud (auch Ria kam und sagt, Mildred sei ganz traurig, dass ich sie nicht eingeladen hätte), klingelte er mit seiner Frau um Punkt zehn an der Haustür und sagte:
»Du hast um 10 Uhr eingeladen, da können wir auch schon um zehn kommen. Wir müssen nämlich noch weiter zu einer Taufe.«
Max blieb aber bis zum Schluss am Nachmittag. Die Taufe wurde fallengelassen. Nach Tante Giselas Tod wurde Max stets von seiner Tochter Bettina begleitet. Wir sehen uns heute noch gern. Konrad Adenauer wurde im Palais Schaumburg aufgebahrt, damit sich die Bevölkerung von ihm verabschieden konnte. Ich begleitete eine Gruppe von Journalisten dorthin und stellte fest, dass überall schon die Sicherheitsleute von ausländischen Staatschefs herumschlichen. Sie trugen in der Falte ihrer Jacken eine schwarze Perle als Erkennungszeichen. Das sah ich. Und zurück im Presseamt erklärte ich dem Beamten, der meinen Einsatz bestimmte, solch eine schwarze Perle sei auch für mich ganz nützlich, dann müsste ich nicht meine Beglaubigung des Presseamts vorzeigen. Aber da stieß ich auf taube Ohren.
Neben dem großen Eingang im Erdgeschoss des Bundespresseamtes war eine große Tafel angebracht, auf der die offiziellen Aufnahmen von Fotografen des Presseamts ausgehängt wurden. Ich schaute sie mir an und stellte fest: Sie waren mit Stecknadeln befestigt, die einen runden schwarzen Kopf trugen, ähnlich den Perlen der Sicherheitsleute. Also zog ich solch eine Stecknadel heraus und spießte sie in meinen Kragen. Nun verfügte ich über ein Sesam-öffne-dich.
Mit diesem Geheimzeichen nahm ich dann am Staatsakt im Kölner Dom teil. Könige, Präsidenten, Premierminister und Würdenträger der westlichen Welt waren in großer Zahl gekommen, um den ersten Kanzler der Bundesrepublik und sein Werk zu ehren. Und es war auch das erste große Medienereignis in der Bundesrepublik. Fast den ganzen Tag lang wurde die Zeremonie im Fernsehen übertragen. Denn der Sarg des Gründungskanzlers wurde vom Kölner Dom zum Rhein gebracht und dann auf einem Schnellboot nach Rhöndorf gefahren, um dort auf dem Friedhof zur Ruhe gebettet zu werden.
Unvergessen ist für viele der damaligen Beobachter die Szene, in der Bundespräsident Heinrich Lübke bei dem Gruppenfoto vor seinem Amtssitz, der Villa Hammerschmidt, versuchte, die Hände der rechts und links neben ihm stehenden, miteinander aber verfeindeten Präsidenten Lyndon B. Johnson und Charles de Gaulle zur Versöhnung ineinander zu legen. Es misslang.
Ich hatte einen Bus voller Journalisten von Bonn nach Köln begleitet und sie an dem ihnen zugewiesenen Platz abgeliefert. Dann wollte ich mal sehen, wie weit ich mit der Stecknadel und dem schwarzen Knopf käme. Mein Spieltrieb war wieder geweckt.
In der ersten Reihe saßen die Familie und die Staatspräsidenten. Also
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