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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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Bruder noch meine Schwester, aber doch meiner Eltern Kind.«
    Hannelore schaut ihn fragend an. Kohl lachend: »Der Genscher!«

    Die Geschichte wird zeigen: Kohl war nicht »doof«.
    Er war der letzte große Bundeskanzler, der noch von der deutschen Geschichte aus der Zeit des Dritten Reichs geprägt worden ist.
    Helmut Kohl hatte seine festen Überzeugungen und auch Abneigungen. Aus einem mir nicht bekannten Grund gab er der ARD kein Interview mehr, seit Ernst-Dieter Lueg Studioleiter in Bonn war. Vermutlich hatte Lueg ihn mit einer kritischen Frage geärgert.

    Als ich aus Paris nach Hamburg zu den Tagesthemen wechselte, stellte ich eine Anfrage nach einem Interview mit Bundeskanzler Helmut Kohl. In Paris hatte ich ihn bei Gipfeltreffen mit François Mitterrand häufig befragt, und auch jetzt erhielt ich prompt eine Zusage für ein Gespräch in den Tagesthemen. Bedingung sei nur, dass dieses Gespräch im Kanzleramt und nicht im Studio Bonn stattfinde. Ich vermute, ich habe diese Gunst Andreas Fritzenkötter, den ich damals noch nicht kannte, zu verdanken. Der mehr als zwei Meter große Fritzenkötter regelte für den Bundeskanzler die Beziehungen zur Presse. Über die Jahre bekam ich ein gutes Dutzend Gespräche. Doch das längste und auch ausführlichste Interview fand erst einige Monate nach dem Ausscheiden Kohls aus dem Kanzleramt statt.
    Schon bald nach unserem ersten Gespräch im Bundeskanzleramt hatte mir Helmut Kohl angeboten, doch einmal ein längeres Fernsehgespräch, vielleicht von einer Stunde Länge, zu führen. So ein Gespräch in der ARD zu platzieren, ist aber ein Ding der Unmöglichkeit. Denn darauf würde immer der Anspruch folgen, dann auch mit jemandem von der SPD ein genauso langes Gespräch zu senden. Kurz vor der Bundestagswahl 1994 wurde deshalb vereinbart, ich solle an zwei aufeinanderfolgenden Tagen je ein Gespräch von einer Viertelstunde, um die die Tagesthemen verlängert würden, mit dem SPD-Kanzlerkandiaten Rudolf Scharping und am Tag darauf mit Bundeskanzler Helmut Kohl führen. Das bedeutete für mich: morgens früh nach Bonn fliegen, das Interview aufnehmen, zurückfliegen, am Abend die Sendung moderieren und am nächsten Morgen wieder nach Bonn fliegen, das nächste Gespräch führen, wieder nach Hamburg zurückfliegen und wieder am Abend die Sendung moderieren.
    Scharping war als Erster dran. Ich kannte ihn schon lange. Wir duzten uns noch aus den Zeiten, als wir gemeinsam am Institut für Politische Wissenschaften in Bonn studiert hatten. Ich nahm ihn im Interview hart ran. Tage zuvor war er öffentlich kritisiert worden, weil er brutto und netto verwechselt hatte. Und ich fragte ihn, ob er das jetzt auf die Reihe bringe.
    Am Tag darauf, bei Helmut Kohl, war ich milder.
    Friedrich Nowottny, inzwischen Intendant des WDR, sagte mir einige Tage später in freundschaftlichem Ton, er habe beide Sendungen mit ausländischen Freunden gesehen. Sie fanden, ich hätte Scharping im Vergleich zu Kohl fast zu kritisch befragt. Das mag sein. Aus Angst, die persönliche Beziehung zu Scharping könne mich zu mild werden lassen, bin ich in das andere Extrem verfallen. Falls das ein Fehler ist, habe ich ihn immer wieder auch bei anderen Gesprächspartnern begangen.
    Als der 1997 von ARD und ZDF gegründete Dokumentationssender Phoenix mich bat, etwas zu dem Programm beizusteuern, schlug ich die Sendung Zeitzeugen vor. Darin wollte ich in langen Gesprächen mit führenden Politikern versuchen, ihr politisches Handeln mit ihrer Biographie zu verknüpfen.
    Später hat die Süddeutsche Zeitung über die Zeitzeugen -Sendung geschrieben: »Das Erklären des eigenen Lebens lockert die Zunge. Das kann dazu führen, dass der, im wahren Sinn des Wortes, sich Erklärende auch Sätze spricht, die nicht aus dem angesammelten Phrasenarsenal stammen.«
    Und ich schlug als ersten Gesprächspartner den eben abgewählten Bundeskanzler Helmut Kohl vor.
    Aus dem Büro von Helmut Kohl erhielt ich die Antwort, er wolle zunächst mit mir über diese Sendung sprechen (aber im Vertrauen, so der Büroleiter, das sei schon eine Zusage). Ich traf den ehemaligen Bundeskanzler in seinem Büro im Bundestag, erklärte ihm meine Vorstellung, und wir redeten zwei Stunden.
    Kohl gefiel die Idee der Sendung Zeitzeugen . »Wissen Sie, wir machen das. Ich will sowieso keine Biographie schreiben. Dann haben wir das wenigstens. Wie lang wird das Gespräch denn dauern?«, fragte er mich.
    »Wir haben jetzt zwei Stunden gesprochen und

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