NeuGier
werden. Nun war sie in ihren Gedanken, kaum auf dem Freeway, sondern bei den vor ihr liegenden Stunden. Sowohl der Zweifel, ob es richtig war, sich auf ein zweites Treffen einzulassen als auch die Vorfreude hatten sie fest im Griff – und ihr Zusammenspiel war irritierend.
Die Adresse, die Jackson Kate genannte hatte, befand sich in einem Villenviertel. Das schmiedeeiserne Tor des Grundstücks stand offen. Ein gepflasterter Weg führte auf einen runden Platz vor dem Haus, wo bereits einige Autos parkten. Kate stellte ihren Wagen ab, stieg aus und betrachtete das vom Mondlicht und dem Licht nostalgischer Laternen beleuchtete Gebäude. Seine Fassade war in einem ausbesserungswürdigen Zustand, doch ein Gerüst an einer Seite ließ darauf schließen, dass entsprechende Arbeiten bereits in Angriff genommen worden waren.
Von der kühlen Luft und ihrer Unruhe getrieben, beeilte sich Kate, die breiten Steinstufen hinauf zum Eingang zu kommen. Die Tür war unverschlossen, doch es brauchte einige Kraft, das monströse Holzding aufzudrücken. Mit einem Rumsen fiel es hinter ihr wieder ins Schloss, und sie stand in einem hohen Foyer, das mit Karofliesen ausgelegt war. Wo die Party stattfand, ließ sich anhand der Musik unschwer nachvollziehen. Bevor sie sich dorthin aufmachte, warf sie einen Blick in einen Wandspiegel, dessen Ränder vom Alter schwarz und rissig waren.
Es war nicht leicht gewesen, ein Kostüm aufzutreiben. Der einzige Shop in Palo Alto, der so etwas verkaufte und verlieh, hatte es nicht mehr vorrätig gehabt. Eine ihrer studentischen Aushilfen hatte jedoch von ihrem Problem mitbekommen und ihr die Arbeitskleidung ihrer Schwester gebracht. Der weiße Kittel, den Kate ohne die zugehörige Hose trug, reichte gerade mal über ihren Po und saß ziemlich knapp. Die obersten Knöpfe hatte sie offen gelassen, sodass ihr Dekolleté zur Geltung kam. Die rotgoldene Echse blitzte darauf – ein Teaser für Jackson, der diese Kollektion ja am liebsten mochte. Aus rotem Stoff hatte sie ein Kreuz ausgeschnitten und eher liederlich auf eine Brustseite genäht. Weitere Kontraste zum Weiß gaben die roten, kniehohen Stiefel ab sowie zwei ebenfalls rote Haarklemmen, die Kates blonde Haare auf vermeintlich brave Weise aus dem Gesicht hielten.
Ab ging es ins Getümmel, in einen lauten Partyraum voller kostümierter Menschen, die tanzten oder in Gruppen an der provisorisch errichteten Bar standen und sich unterhielten.
Mit jedem Schritt auf der Suche nach dem Arzt wurde Kate unsicherer. In manchen Sekunden war ihre Skepsis so groß, dass sie am liebsten kehrt gemacht hätte. Dass Jackson passend zu ihrem Kostüm wahrscheinlich als Arzt verkleidet sein würde, sprach leider sehr dafür, dass er der Zahnarzt war – einer der beiden Männer, die optisch absolut nicht ihr Typ waren. Es blieb die Hoffnung, dass er auf dem Foto lediglich schlecht getroffen war.
Tatsächlich fand sie zwei Ärzte, doch der eine war ein rundlicher Zwerg und der andere ein Farbiger – keiner der fünf Kandidaten, die Google ihr präsentiert hatte. Nachdem sie die Flirtversuche eines Gorillas, eines Clowns und DarthVaders abgewehrt hatte, schlenderte sie zur Bar, um sich einen Cocktail mixen zu lassen und sich mit etwas in der Hand nicht gar so verloren zu fühlen.
Während sie wartete, betrachtete sie die anderen Leute an der Bar. Zu ihrer Linken alberte eine Gruppe Hühner herum, die ihren Kostümen durch lautes Gackern alle Ehre machte. Rechts von ihr saß ein Pirat, der ein Gespräch mit einem rowdyhaft gekleideten Typen führte. Der rote Fleck auf dem um seinen Kopf gewickelten Verband deutete auf eine ernsthafte Verletzung hin, und der in einer Bandage hängende Arm auf eine ausgerenkte Schulter oder gar ein gebrochenes Schlüsselbein.
Seine Haare waren dunkel und kurz. So kurz, dass Kate bei der Vorstellung, mit der Hand darüberzustreichen das Kitzeln der Stoppeln auf ihren Handinnenflächen zu spüren meinte. Seine Züge waren kantig, fast ein wenig grob, doch aufregend maskulin. Seine Mund, der bisher gesprochen hatte, schwieg nun und verzog sich zu einem schiefen Lächeln. Seine Augen waren hell, und sie betrachteten sie aufmerksam.
Also war Jackson weder der Zahnarzt noch der andere weniger sympathische Kandidat, sondern ihr Favorit: der Architekt, Jackson Ramones.
Kate nahm ihr Getränk und umschloss es fest, um das Zittern ihrer Hände zu unterdrücken. Dann ging sie um den Piraten herum und konfrontierte Jackson, der nun rücklings
Weitere Kostenlose Bücher