Neukölln ist überall (German Edition)
hinter den Kindern eine große Familie steht und man richtig Ärger bekommen kann, wenn man sich mit den Dreikäsehochs wegen eines Ladendiebstahls, einer Sachbeschädigung oder sogar auch wegen tätlicher Angriffe auseinandersetzt.
Einige Beispiele sollen die Ausführungen nachvollziehbar machen. Zwei 14-jährige Mädchen geraten in der Schule in einen Streit. Die eine ruft ihre Familie per Handy zu Hilfe. Auf dem Nachhauseweg wird das andere Mädchen überfallen, zu Boden geschlagen, und eine erwachsene Frau tritt ihr mit dem Absatz ins Gesicht. In dem anderen Fall sticht ein 13-Jähriger einem Gleichaltrigen mit dem Messer ins Bein. Die Mutter verteidigt ihren Sohn mit dem Hinweis, dass der andere Junge ihn wütend gemacht habe, weil er nicht mit ihm reden wollte.
Zwei als verfeindet bekannte Clan-Chefs sitzen im Hinterzimmer einer Shisha-Bar und verhandeln irgendetwas. Der eine hat eine Schussverletzung am Bein. Eine Anzeige gab es nicht. Offensichtlich wurde gerade der Ausgleich für die erlittene Verletzung gesucht. Zwei andere Clan-Chefs geraten in Streit miteinander, und sie schießen die Sache gemeinsam mit anderen Familienangehörigen auf der Straße aus. 60 Projektile fand die Polizei in Hauswänden und Autos. In der Gerichtsverhandlung konnte sich niemand mehr an den Vorfall erinnern. Alle nahmen ihre Freisprüche entgegen und gingen ihrer Wege.
Wegen eines Parkknöllchens greift ein arabischstämmiger Mann den Mitarbeiter des Ordnungsamtes tätlich an. Bei der darauf folgenden Verhandlung vor Gericht bedroht er ihn erneut: Er lässt ihm ausrichten, dass er die gesamte Familie des Mitarbeiters auslöschen lassen wird, wenn dieser ihn belastet und er verurteilt wird. Er schwört es bei Allah, dem Koran und seinem ältesten Sohn. Der Mann ist vor 20 Jahren als Asylbewerber nach Deutschland gekommen, bringt es auf eine erkleckliche Anzahl von Straftaten, taucht hin und wieder unter oder sitzt auch ein. Er erhält öffentliche Unterstützung und fährt Mercedes. Jemand, der in unserer Gesellschaft Schutz vor eigener Bedrohung sucht, bedroht hier seinerseits andere mit dem Tod. Wir alimentieren ihn, und er tritt – nicht nur – unsere Gesetze mit Füßen.
Ich könnte seitenweise so fortfahren. Andere könnten sie aus ihren Städten ergänzen. Ich habe die Fälle aufgelistet, um die Haltung des zitierten Polizeibeamten verständlich zu machen. Wenn die Polizisten, die bei uns jeden Tag ihre Haut zu Markte tragen, feststellen müssen, dass sie wenige Wochen später vor demselben Täter stehen, weil wieder nichts passiert ist, dann verlieren sie Lust und Elan. Wenn man eine defensive Gesellschaft des alles verzeihenden und zurückgezogenen Staates will, darf man hinterher nicht nach mehr Sicherheit rufen oder bei eigener Betroffenheit klagen. Ich weiß nicht, wie viele versuchte Gefangenenbefreiungen es in den letzten Jahren in Neukölln gegeben hat. Es waren aber bestimmt nicht wenige. Diese Aktionen sind ein deutliches Zeichen dafür, dass die Autorität und das Gewaltmonopol des Staates in bestimmten Einwanderercommunitys nicht akzeptiert und mehr als in Frage gestellt wird.
Polizeihauptkommissar Karlheinz Gaertner holt noch einmal tief Luft: »Für uns als Polizeibeamte ist es inzwischen völlig normal, beleidigt zu werden. Aus Sicht unserer Klientel darf man das auch, denn Deutsche haben keine Ehre. Ungefähr 70 % meiner Kollegen haben Gewalt gegen sich erlebt. Auch mein Sohn ist schon überfallen worden. Meine Kinder fahren deswegen nicht mehr U-Bahn. Sie wären der klassische Opfertyp, noch vor der deutschen Oma.«
Es war viel Verbitterung in diesem Gespräch. Auf meine Frage, wie man denn dieser Situation begegnen sollte, lautete die Antwort: »Die Welt ist so, wie sie ist. Aber es gibt zwei Dinge, die unsere Arbeit extrem behindern. Erstens, dass niemand diesem Milieu ans Geld geht und die Gesellschaft immer noch mehr Geld in dieses System hineinpumpt, und zweitens, dass wir einen Täterschutz haben, der Datenschutz heißt. Die Gesellschaft ernährt und beschützt diese Kreise.« – »Woher kommt das Geld für die schweren Autos?«, fragte ich. »Fahren Sie um Mitternacht durch Neukölln, schauen Sie sich die geöffneten leeren Geschäfte an mit drei, vier Leuten Personal. Da wird in vielen Fällen Geld gewaschen. Die Einnahmen aus dem Drogen- und Mädchenhandel oder was auch immer wandern so in den Wirtschaftskreislauf und mehren das offizielle Vermögen. Es landet in Luxusartikeln, teuren
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