Neukölln ist überall (German Edition)
ist, wenn man planmäßig gemobbt wird. Auch dafür, dass man nur das beschrieben hat, was jeder mit gesundem Augenlicht selbst sehen kann. Eine Schulleiterin hat einmal mit mir zusammen ein öffentliches Interview gegeben. Sie nahm kein Blatt vor den Mund. Zwei Jahre hatte sie darunter zu leiden.
Ich möchte, dass meine beiden Leiterinnen weiter ungestört für die Neuköllner Kinder arbeiten können. Deswegen bleiben sie die großen Unbekannten. Beide leiten Einrichtungen von freien Trägern und nicht des bezirklichen Kindertagesstättenbetriebes. Sie sind also weder direkt noch indirekt von mir abhängig und haben es daher auch nicht nötig, mir nach dem Mund zu reden. Beide Kindertagesstätten liegen in einem geschlossenen Wohngebiet in Nord-Neukölln. Einmal mit rund 5000 Einwohnern und einmal mit 3500. Der Gesamt-Einwandereranteil liegt bei 68 % bzw. bei 58 %.
Meine erste Gesprächspartnerin beschreibt, dass es in »ihrem« Wohngebiet in letzter Zeit eine hohe Zuzugsrate gegeben hat. Betrug die Leerstandsquote der Wohnungen in der als sozialer Brennpunkt bekannten Siedlung früher mindestens 10 %, so ist heute von einer Vollvermietung auszugehen. Sie hat jährlich 200 Anmeldungen für 20 freie Plätze. Zu dem früher üblichen Bestand der türkisch- und arabischstämmigen Bevölkerung haben sich zunehmend Schwarzafrikaner im Gebiet niedergelassen. Mit den Afrikanern ist noch mehr Brutalität, Drogen- und Alkoholmissbrauch eingezogen. Türkische und arabische Männer sitzen in den Cafés. Afrikanische Männer sitzen zu Hause, sehen fern, spielen, telefonieren und trinken. Afrikaner lassen sich noch schwerer in die Karten schauen als die anderen Ethnien.
Männer lassen sich in ihrer Kita selten blicken. Nur wenn sie Druck macht und darauf besteht, bequemen sie sich, zum Gespräch zu erscheinen. Fordernd werden, das kann sie, diese resolute Frau. Sie kommt aus dem Kiez. Sie hat ihre Nase schon in alle Ecken gesteckt. Auch in die, wo es manchmal nicht so gut riecht. Angst hat sie keine. Es kann durchaus passieren, dass jemand, der ihr zu nahe kommt oder zu unverschämt wird, einfach rausfliegt.
Die Kinder werden in die Einrichtung gebracht, damit sie Deutsch lernen. »Viele Familien haben schon kapiert, dass ein guter Schulabschluss wichtig ist. Und deswegen wollen sie, dass wir ihr Kind auf die Schule vorbereiten.« Dass dies auch ihre Aufgabe als Eltern ist, sei ihnen schon weniger bewusst. Auch nicht, dass man sich an Uhrzeiten halten muss und pünktlich zu sein hat. Spontanität und Beliebigkeit bestimmen den Alltag stark.
Die Elternarbeit liegt unserer Leiterin sehr am Herzen. Das beginnt damit, dass die Mütter, wenn sie morgens die Kinder in die Einrichtung bringen, freundlich und höflich begrüßt werden. »Das ist nicht in jeder Neuköllner Einrichtung so«, sagt sie. »Wenn unser Gruß nicht erwidert wird, wiederholen wir ihn so lange, bis ein nettes Lächeln die Antwort ist.«
Elternarbeit ist für sie auch der Deutschkurs in der Einrichtung. Frauen, die anfangs überhaupt kein Deutsch sprachen, können sich inzwischen verständlich machen. Aber auch hier heißt es, immer am Ball bleiben, motivieren, anfeuern und das Abschlusszertifikat zum Ziel erklären. Spielenachmittage mit den Müttern organisieren und ihnen den Sinn von »Mensch ärgere dich nicht« oder »Mau-Mau« erläutern. Die Männer müssen je nach Fertigkeit ackern, reparieren und bauen. Dabei kann man viel besser mit ihnen reden als auf einem Elternabend, zu dem sowieso niemand käme.
Die Sprachausbildung der Kinder ist für meine Gesprächspartnerin heute selbstverständlich. Sie verfügt über vier dafür ausgebildete Erzieherinnen. Hinzu kommen Lesepatinnen, die schon in der Krippe den Kindern aus dem Bilderbuch vorlesen. Und sie sagt, man kann zusehen, wie sich der Sprachstand der Kinder dadurch verändert. Das ist wirklich anders als früher, erinnere ich mich. In meiner Zeit als Jugenddezernent begannen wir mit der Sprachausbildung von 3-Jährigen zu experimentieren. Wir wurden damals mit der Tatsache konfrontiert, dass immer mehr Kinder zu Hause kein Deutsch sprachen. Aber niemand wusste, wie man mit so kleinen Menschen lernen und üben kann. Wie lange können sie sich konzentrieren? Wie viel Inhalt auf einmal verkraften? Wie »unterrichtet« man 3-Jährige? Für Kids vom 6. Lebensjahr an wussten wir alles. Da hatten wir unsere Lehrer. Zu jener Zeit war aber Lernen in der Kindertagesstätte geradezu tabu. »Gegen
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