Neukölln ist überall (German Edition)
es Stress mit einer anderen Großfamilie bedeutet und weil man den Deutschen auch vor Gericht keinen Einblick in die Gesetze der Ethnie gewähren will. So etwas regeln wir unter uns , lautet der Grundsatz. Die Deutschen sind das Feindbild. Sie sind schwach, sie sind Weicheier, sie haben niemanden, der sie beschützt und der für sie kämpft. Der Knast hat kein Drohpotential. Da war mein Bruder, da war mein Vater, schon der Großvater. Dort, wo Gefängnis nicht als schlimm empfunden wird, hat Strafe ihre Abschreckung verloren. Wenn der, der aus dem Knast kommt, der Star ist, man ihm ein Auto schenkt, ja, warum soll er dann mit seinem Schicksal hadern?
Diese Verhaltensweisen schlagen sich natürlich auch auf dem Stimmungsbarometer nieder. In einer Studie erklärten rund 25 % der Jugendlichen mit Migrationshintergrund, dass sie schon einmal bewusst einen Deutschen beschimpft haben, und 5 % sogar, einen Deutschen geschlagen zu haben. Bei einer anderen Erhebung zeigte sich, dass 19 % der bio-deutschen männlichen Jugendlichen sich in ihren Äußerungen als sehr ausländerfeindlich präsentierten. Ein deutlicher Beleg dafür, dass die Abneigung steigt. Man sieht Bilder vor dem geistigen Auge, die an amerikanische oder britische Städte erinnern. Separierte Stadtviertel und abgeschottete Lebenswelten sind dann an der Tagesordnung. Die Idee und die Vision der integrierten Stadtlagen wären damit nicht mehr ein erreichbares politisches Ziel. Das entspricht meinem Eindruck bei dem Besuch in London.
Auch wenn ich es mir im Moment nur schwer vorstellen kann, so muss ich doch zur Kenntnis nehmen, dass es ernstzunehmende Menschen gibt, die durchmischte Stadtlagen vom Grundsatz her nicht für erstrebenswert halten. Für den französischen Wissenschaftler Gilles Kepel bedeutet Multikulturalismus nichts anderes als die strikt getrennte Entwicklung verschiedener Bevölkerungsgruppen. Er sagt dazu Apartheid. Und der Bischof von Rochester stellt fest, dass es Gegenden in Großbritannien gibt, in denen Nicht-Muslime nur schwer leben und arbeiten könnten, weil dort Feindseligkeit anderen gegenüber herrsche. Die Äußerung unterscheidet sich inhaltlich nicht sehr von Herrn Kepel.
Aber inzwischen besteht unter Fachleuten Einigkeit, dass sich in der bio-deutschen Jugend Veränderungen vollziehen. Vermehrt sind Stimmen zu vernehmen, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen. Die treibenden Kräfte im Hintergrund sind junge Frauen. Sie sind es leid, sich permanent sexueller Anmache und sexuellen Angriffen in Bus und Bahn ausgesetzt zu sehen. Sie finden die Frage nach Interesse an einem Fortpflanzungsvorgang, gekleidet in die Kurzformel des Straßenjargons »Willst du gefickt werden?« weder als schmeichelnd oder angemessen, noch wollen sie das Angebot annehmen. Ich kann diese Stimmungslage bestätigen. Bei Diskussionen mit Schülern zwischen 15 und 20 Jahren registriere ich immer häufiger eine Trotzhaltung. Aber Gegengewalt ist keine Lösung, sondern führt nur dazu, dass sich die Spirale weiter dreht. Das ist schon deshalb ein Irrweg, weil die deutschstämmigen Jugendlichen niemals den bedingungslosen Organisationsgrad der Einwandererjugendlichen erreichen werden. Ihnen fehlt nicht nur die rekrutierbare Masse, sondern auch der Hass auf alles als Triebfeder. Aber selbst wenn es anders wäre, darf die »West Side Story« nicht zum politischen Programm werden.
Irritiert hat mich, dass Vertreter der Justiz die Forderung erheben, der Staat müsse Stärke zeigen. Sind sie es nicht, die es in der Hand haben, ihre eigene Forderung auch in die Realität umzusetzen? Schlagworte wie »Opportunität« und »ethnische Rabatte« machen dann schnell die Runde. Im Jugendamt überlegt man, ob das Risiko gerechtfertigt ist, ein Kind aus einer Clanfamilie herauszuholen. Wer schützt dann die Sozialarbeiterin oder den Sozialarbeiter? Wir haben in Neukölln unsere Erfahrungen mit Mitarbeitern, die zusammengeschlagen oder zusammengetreten wurden, weil sie der Familie nicht preisgeben wollten, in welchem Heim das Kind untergebracht ist. Oder mit Sozialarbeitern, die in der Sprechstunde malträtiert, beim Hausbesuch aus der Wohnung geworfen und mit dem Messer über die Straße gejagt wurden. Da wird das Postulat, der Staat müsse Stärke zeigen, es dürfe keine rechtsfreien Räume geben, schnell zur Worthülse.
Es gibt sie längst, die rechtsfreien Räume. Und bis zu einem gewissen Grad verstehe ich sogar, wenn ein Funkwagen an
Weitere Kostenlose Bücher