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Neukölln ist überall (German Edition)

Neukölln ist überall (German Edition)

Titel: Neukölln ist überall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Buschkowsky
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Bitterkeit runterzuschlucken, die ich dabei empfinde, dass mein Sohn nicht die Chance bekommen hat, mit wenigstens ein paar Kindern zusammen zu lernen, die in seiner Welt aufwachsen. Wir lassen ihn jeden Morgen sehenden Auges in eine Umgebung laufen, die ihm völlig fremd ist, wo niemand auch nur annähernd so ist wie er, wo alle Kinder ungewöhnliche Namen haben und er als eher dunkelblondes Kind schon als ›Der Junge mit den weißen Haaren‹ bezeichnet wurde. Mein Sohn sagt jetzt bereits immer öfter ›Isch‹ – nur als Zeichen dafür, wie schnell man eine Sprache lernen kann, leider falsch herum.
Ich glaube eigentlich sehr an die Integrationskraft von Kindern, die über viele Unterschiede ja leicht hinwegsehen können. Aber wenn die Schnittmenge der Lebenswelten so gering ist, wird es doch schwerer, als ich es selbst gedacht hätte. Zum Beispiel wollten wir unseren Sohn wenigstens in den Religionsunterricht schicken, aber den bieten die Kirchen in der Schule natürlich nicht an. Für wen auch?«
    So weit der Auszug des Briefs einer Mutter. Sie hat übrigens danach eine Elterninitiative gegründet, die mit Flugblättern im Wohngebiet dafür wirbt, dass bildungsorientierte Eltern ihre Kinder nicht woanders anmelden, sondern sich zusammenschließen und ein anderes Klima in die Schule hineintragen. All diese Dinge habe ich täglich im Kopf, wenn ich an den Satz unserer Kanzlerin denke: »Wir müssen die Bildungsrepublik Deutschlands werden. Das ist es, was unsere Zukunft für die nächsten Jahrzehnte sichert.«
    Recht hat sie mit dieser Aussage. Die Realität allerdings ist, dass ein Fünftel bis ein Viertel der Schülerinnen und Schüler in Deutschland die Schule lebensuntüchtig verlassen. Das ist die Ursache dafür, dass so viele junge Menschen, insbesondere Kinder der Einwanderer, es nicht zu einem Ausbildungsplatz und auch nicht zu einem Berufsabschluss bringen. Insgesamt beträgt der Anteil der Ungelernten bei den 20- bis 30-Jährigen 15   %. Davon sind knapp 50   % Frauen. Bei denjenigen mit Migrationshintergrund in dieser Altersgruppe liegt der Wert bei 30   %.
    Aber zurück zu unseren Schulen in Neukölln. Auch an einer anderen Stelle kann man die Herausforderung des Alltags ablesen. Die Grundschulempfehlung zum Wechsel auf das Gymnasium erhalten in gutbürgerlichen Bezirken regelmäßig so um die 50   % der Schülerinnen und Schüler. In Neukölln erreichen keine 30   % der Kinder diese von ihren Eltern so begehrte Einstufung. Unsere Grundschulen schaffen es eben in der Masse selbst in sechs Jahren des gemeinsamen Lernens nicht, alle Handicaps, die die Kinder von zu Hause mitbringen, auszugleichen. Unsere Lehrerinnen und Lehrer sind halt keine Zauberer.
    Lassen Sie mich an dieser Stelle verdeutlichen, warum die Rahmenbedingungen eine so große Rolle spielen. Die Leiterin einer Schule in Nord-Neukölln berichtet, dass sie trotz Ganztagsbetrieb nur bei jedem vierten Kind zu einer Gymnasialempfehlung kommt. Eine Grundschule im Süden mit einem relativ geringen Anteil von 30   % Einwandererkindern und großzügigstem Geländezuschnitt mit eigenem Schulzoo bringt es hingegen auf 63   % zum Gymnasium empfohlene Schülerinnen und Schüler. Veränderte Lernbedingungen durch eine andere Schülerzusammensetzung, räumliche Verhältnisse und der Umgang mit Tieren führen zu einem anderen Schulklima und damit zu einer stärkeren Wissensaufnahme durch die Kinder. Selbstverständlich gibt es auch in den Elternhäusern dieser Schule Auffälligkeiten. Sie schlagen nur nicht mehr 1:1 durch, haben also nicht die üblichen fatalen Folgen. So entstehen schon innerhalb des Bezirkes unterschiedliche Schulmilieus. Es gibt durchaus mehrere Grundschulen, von denen über 50   % der Kinder dem Gymnasium empfohlen werden. Allerdings ist die Zahl der Grundschulen größer, bei denen nur ungefähr 20   % der Schüler diese Empfehlung erhalten.
    Auch als Laie nehme ich die Diskrepanz im Entwicklungsstand der Kinder leicht wahr. Mich besuchen häufig Schulklassen im Rathaus. Sie wollen mit mir reden, mich zu ihren Problemen befragen und schauen, wie ein Bürgermeister so regiert. Sitzt er auf einem Thron und hat er eine Krone auf? Die zwar goldfarbene, aber doch preußisch schlichte Amtskette ist dann eher eine Enttäuschung.
    Bei diesen Begegnungen wird sehr schnell deutlich, ob eine völlig normale Kommunikation mit den Kindern möglich ist oder ob sie nur in Einfach-Sprache gelingt, weil die Kinder über den erforderlichen

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