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Neukölln ist überall (German Edition)

Neukölln ist überall (German Edition)

Titel: Neukölln ist überall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Buschkowsky
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Realität? Nach wie vor zwangsversetzte Lehrer, unbesetzte Schulleiterstellen, Burnout und innere Emigration in den Kollegien. Eine Folge davon ist, dass in den Neuköllner Grundschulen knapp 60   % und in den integrierten Sekundarschulen knapp 30   % des Deutsch- und Mathematikunterrichts nicht fachgerecht vermittelt werden. Das ist mitunter aufgrund verschiedener Gegebenheiten durchaus auch gewollt, aber in den genannten Größenordnungen natürlich nicht. In den Gymnasien liegt der Anteil bei unter 5   %. Als Zeichen der gerade zitierten »besonderen Ausstattung« möchte ich nicht vergessen zu erwähnen, dass im aktuellen Schuljahr 2012/2013 in 23 Neuköllner Schulen rund 410 Stunden für Förderunterricht und Klassenteilungen, nein, nicht etwa zusätzlich bewilligt, sondern gestrichen wurden.
    So kann man den Teufelskreis nicht durchbrechen. Schulen in sozialen Ausnahmegebieten müssen freier werden, müssen individueller handeln können, und sie müssen sich vor allen Dingen ihr Personal selbst aussuchen dürfen. In London geht das, müsste dann doch eigentlich auch bei uns gehen. Ich weiß: das Beamtenrecht, der personelle Überhang, der untergebracht werden muss, der Personalrat, die Kosten, das Schulverfassungsgesetz und so weiter und so weiter und so weiter.
    Nein, die Schulen müssen weg von der Gängelei durch mittelmäßige Schulaufsichtsbeamte. Sie müssen in der Lage sein, sich ihr Kollegium direkt von der Uni zu holen. Warum kann es nicht verpflichtend sein, dass junge Lehrer nach ihrem Studium einen gewissen Zeitraum von zum Beispiel zwei Jahren in einem sozialen Brennpunkt tätig sein müssen? Die Arbeit in schwierigen Gebieten muss einen Punktevorteil geben beim Auswahlverfahren für spätere andere Aufgaben. Zulagen für die Arbeit in Brennpunkten. Reduzierung der Unterrichtsverpflichtung, abgesenkte Klassenfrequenzen, eigene Budgetverantwortung. Das alles sind Vorschläge, die die Schullandschaft verändern würden. Genauso wie erweiterte Kompetenzen der Schulleitungen. In finanzieller Hinsicht, aber auch in disziplinarischer. Ich weiß, dass alle diese Vorschläge Stirnrunzeln hervorrufen. Bestimmt ist auch einiges schwierig wie die Ablösung einer Schulleitung durch das Kollegium. Aber ich weiß genauso, dass wir mit einem »Weiter so wie bisher« mit Vollgas an die Wand fahren. Wir brauchen andere Schulen: autark, interdisziplinär und visionär.
    Ich befinde mich mit der Fokussierung auf »Stärkung der Schulen vor Ort« übrigens in guter Gesellschaft mit der Robert-Bosch-Stiftung. In deren Studie über die Bildungsreformen in New York und Berlin wird festgestellt, dass beide Städte vor vergleichbaren Herausforderungen stehen, die am Hudson River aber der an der Spree bei so wichtigen Reformen wie Schulautonomie, Leistungsverantwortung und Ausbau von Führungskompetenzen zehn Jahre voraus ist. In New York wird die Stärkung der schulischen Eigenverantwortung als ein wesentlicher Baustein für einen »Schul-Turnaround« gesehen, also das Umdrehen einer schwierigen Schule. Dementsprechend haben die New Yorker Einrichtungen weitreichende Freiheiten in Finanz- und Personalangelegenheiten. Die Stiftung und der Berliner Senat wollen nun gemeinsam ein »Programm für Schulen in kritischen Lagen« initiieren. Ob wir davon Honig saugen können, kann ich natürlich noch nicht beurteilen. Ich kenne das Programm ja noch gar nicht. Aber die Hoffnung, dass der Knoten platzt und unsere Schulen fit gemacht werden für ihre Aufgabe als Integrationsinstanz, stirbt bekanntlich zuletzt. Vielleicht sind London und New York ja gute Paten, und die Landesschulverwaltung in Berlin hört endlich auf damit, vom grünen Tisch aus in jede Schule, ja, bis in jede Klasse hineinzuregieren und zu glauben, die Zusammensetzung der Schüler bestimmen zu müssen. Von Schulautonomie, Eigenverantwortung und Kompetenzzuweisung für die einzelnen Schulleitungen sind wir hier heute weiter entfernt als früher – trotz weiter Reisen wichtiger Personen.
    Im Zusammenhang mit der Frage, wie Schulen auf die Verhältnisse umzustellen sind, wird auch immer wieder die Begrenzung des Anteils an Einwandererkindern vorgeschlagen. Da die Schüler aber nun einmal da leben, wo sie leben, ist ihre Zuordnung zur Schule nicht beliebig gestaltbar. »Bussing« heißt der dann sofort ins Spiel gebrachte Begriff. Er bedeutet, dass die Kinder in andere Stadtgebiete zur Schule gefahren werden, um eine Durchmischung zu erreichen. Da es aber keine

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