Neukölln ist überall (German Edition)
unmöglich machten, das Angebot anzunehmen, oder es tauchten plötzlich Gründe auf, weshalb es im Moment gerade äußerst ungelegen kam. Die Hinweise von Oma oder Papa solle ich mal nicht so ernst nehmen, die hätten etwas missverstanden. Den Vorstellungstermin bei einem Unternehmen konnte der junge Mann nicht wahrnehmen, weil er frisch verliebt mit seiner Freundin nach Mallorca fliegen musste. Der vorgetragene Wunsch, einen bestimmten Beruf zu erlernen, relativierte sich durch die Mitteilung des Jobcenters, dass der Betreffende genau jene Ausbildung schon zweimal geschmissen habe. Verabredete Termine wurden, ohne abzusagen, nicht eingehalten, oder ein Strafverfahren erwies sich für unsere gemeinsamen Aktivitäten als hinderlich. Inzwischen bin ich doch schon recht stark desillusioniert ob der Halbwertszeiten der beklagten Ungerechtigkeiten.
Gerade für junge Menschen scheinen die Verlockungen von Hartz IV eine solch beherrschende Macht zu entwickeln, dass sie zu einer vernünftigen Güterabwägung und zum Denken über den Tag hinaus nicht mehr fähig sind. Wenn man Erfahrungen der vorstehenden Art über Jahre sammelt, kann man einen unendlichen Frust kriegen und jedweden Glauben an das Gute verlieren. Natürlich sind nicht alle jungen Leute so, und mit hoher Gewissheit bilden die Charaktere, die ich beschrieben habe, eine Minderheit. Aber es gibt sie, und es ist – anders als der Regierende Bürgermeister in seinem Büchlein schreibt – keine verschwindend geringe Zahl von Einzelfällen. Nicht selten also beruht das Gefühl des Nicht-geliebt-Werdens, des Ausgestoßenseins schlicht und ergreifend auf persönlicher Unzulänglichkeit. Das mag für das Gewissen einer Gesellschaft beruhigend sein, hilft in der Sache aber nicht weiter. Nichts ist so teuer wie ein nicht in die Gesellschaft integrierter Mensch. Der Reparaturbetrieb kommt die Gemeinschaft von der Alimentation über Schadensregulierung, Opferbetreuung, Justizkosten oder, oder, oder teuer zu stehen. Ein Mensch, der zur Wertschöpfung des Bruttoinlandsproduktes beiträgt und Steuern zahlt, ist für die Gemeinschaft erheblich lukrativer als jemand, der das nicht tut. Egal, wo die Schuld hierfür zu suchen und zu finden ist. Zu dieser rein volkswirtschaftlichen Sicht kommen im Bereich der Einwanderungscommunitys eben noch Belastungsfaktoren wie Randständigkeit, Separatismus und Parallelgesellschaften hinzu.
Es ist eine eigene Welt entstanden. Und sie wird von Tag zu Tag in sich perfekter und geschlossener. Menschen bestimmter Glaubensrichtungen ziehen nach Neukölln, um ihrer Moschee und ihrer Glaubenscommunity nahe zu sein. Sie bilden Netzwerke, die nicht zu unterschätzen sind und die nur einem Zweck dienen: unter sich zu bleiben, die eigenen kulturellen und religiösen Normen zu bewahren, die Kinder vor sündigen Einflüssen zu beschützen und der deutschen Lebensart, den deutschen Lebensregeln und den deutschen Gesetzen auszuweichen. Parallelgesellschaften zeichnen sich nun einmal dadurch aus, dass sie sich abschotten und alle Kraft auf die Binnenintegration und Selbstfindung in der Minderheitenposition verwenden.
Fast alle diese bei der Integration hinderlichen Begleiterscheinungen stehen im engen Zusammenhang mit Bildungsferne. Oft auch noch vermengt mit starker Frömmigkeit, Scheinreligiosität, tradierten Familienriten, überkommenem Hierarchieverhalten, Gewaltakzeptanz und Gehorsamspflichten. All diese Bremsklötze werden aus der spirituellen Metaebene des Glaubens hergeleitet, und damit wird es so gut wie unmöglich, sie in Frage zu stellen. Von mir im Einzelfall erbetene Erklärungen, aus welcher Sure oder welchem Hadith dieses oder jenes Verhalten abzuleiten ist, laufen häufig ins Leere.
Vielfach bestimmen ungeschriebene und überlieferte Verhaltensnormen den Lebensalltag und die Lebensperspektive junger Menschen, im positiven wie im negativen Sinne.
Es beginnt bereits bei den Erziehungsidealen muslimischer Eltern. Jungen werden dazu erzogen, tapfer, mutig und kampfbereit zu sein. Eben Beschützer und Verteidiger der Familienehre. Deswegen laufen schon im Kindesalter Jungen mit Waffen in der Tasche durch die Gegend, immer bereit, »die Ehre meiner Mutter zu verteidigen«. Mädchen werden dazu erzogen, keusch, rein und gehorsam zu sein. Meine Tochter soll eine gute Frau und Mutter werden. Wozu braucht sie da die Schule? So oder so ähnlich lautet eine durchaus gängige Antwort auf die Frage des Sozialarbeiters, warum die Tochter vorige Woche
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