Neukölln ist überall (German Edition)
Deswegen wehren sich Bürger, wenn in ihrer Nähe eine Moschee gebaut werden soll. Ich bin ganz sicher, dass in den meisten Fällen die Menschen keine Angst vor der Moschee und dem Islam haben, sondern vor den Islamisten, die dann dort vielleicht ein- und ausgehen. Entscheidend ist nicht das Gotteshaus, sondern das, was in seinem Inneren im Namen der Religion geschieht oder wofür es missbraucht wird.
Der katholische Pfarrer Franz Meurer, »alternativer Ehrenbürger« der Stadt Köln, hat einmal zu mir gesagt: »Wenn du willst, dass ein guter Mensch Böses tut, so führe ihn zur Religion.« Auf meine erstaunte Nachfrage, wie ich diese Botschaft aus dem Mund eines katholischen Priesters zu verstehen habe, erklärte er mir, dass Religion ein schwerer Stoff sei. In falsche Hände gelegt, führe er nicht zu Frieden und Erlösung, sondern zu Fanatismus und Verirrung des Geistes.
Die Menschen suchen Abstand zu solchen Dingen. Sie fragen sich, warum man plötzlich von ihnen verlangt, den Islam zu verstehen, ihn zu akzeptieren und zu tolerieren. Sie sagen: Wir leben in Deutschland, was habe ich hier mit dem Islam zu tun? Warum muss ich mich mit ihm auseinandersetzen? Ich will das nicht, und er soll mir nicht zu nahe kommen. Nur so erklärt sich auch der Proteststurm auf die zitierte, semantisch eigentlich recht sorgfältig ausformulierte und dennoch emotional fehlleitende Bemerkung des ehemaligen Bundespräsidenten.
Die Menschen wehren sich gegen eine Vereinnahmung, die sie nicht wollen und die sie aus einem inneren Unbehagen heraus zurückweisen. Muslime müssen lernen, damit umzugehen und zu akzeptieren, dass andere Menschen ihren Glauben ablehnen und mit ihm nichts zu tun haben wollen. So ist die Ablehnung der Minarette in der Schweiz zu verstehen, die die stärkste Zustimmung in den Gebieten erhielt, in denen die wenigsten Muslime leben. Auch in Brandenburg gibt es ein sehr starkes Ablehnungsverhalten gegenüber Einwanderern, obwohl deren Anteil an der Gesamtbevölkerung dort nur bei 6 % liegt. Also, je ferner die vermeintliche Bedrohung ist, desto nachhaltiger ist der Wunsch, sie von sich fernzuhalten. Ich bin recht sicher, dass eine Umfrage in Neukölln unter Nichtmuslimen nun nicht unbedingt berauschende, begeisterte Zustimmungsraten zum Islam hervorbringen würde, aber durchaus eine abgewogene und von einer Portion Gelassenheit geprägte Resonanz hätte. Ich lese das auch aus den Wahlergebnissen bei uns ab. Dort, wo der Anteil der Einwanderer an der Gesamtbevölkerung sehr niedrig ist, sind die Stimmergebnisse für rechtsextremistische Parteien am höchsten. In Neukölln hatten die Rechtsextremen 1989 bei den Wahlen 16 000 Stimmen. 22 Jahre später entfielen trotz massiver Zunahme soziologischer und sozialer Problemlagen auf den rechten Rand noch 3500 Stimmen.
Ich will mit diesen Hinweisen weder etwas gutheißen noch pfeifend durch den Wald gehen, indem ich alle Schuld einer oft und gern zitierten hinterweltlicheren Landbevölkerung in die Schuhe schiebe. Weil sie es nicht besser verstehe, rückständig sei und Städter sowieso schlauer. Diese Erklärung geht flott von den Lippen, ist aus meiner Sicht aber zu einfach. Wie sagte schon Albert Einstein: »Für jedes noch so komplexe Problem gibt es eine ganz einfache Lösung. Und die ist meistens falsch.« Ich glaube, wenn es in Deutschland eine Volksabstimmung über Minarette gäbe, würde das Ergebnis ähnlich ausfallen wie in der Schweiz. Es ist gut, dass sie bei uns nicht möglich ist, denn würde uns eine solche Situation im Integrationsprozess weiterbringen? Das Verbot von Gotteshäusern war noch nie friedensstiftend. Es sitzt für immer wie ein Stachel im Fleisch der Gläubigen und fordert Vergeltung. Es gibt einfach Themen, die eignen sich nicht fürs Plebiszit. Wie zum Beispiel eine Abstimmung über die Wiedereinführung der Todesstrafe für Kindermörder nach einer gerade geschehenen brutalen Tat.
Wofür sich solche Fragen aber auch nicht eignen, ist zur Beschimpfung der Bürger, zum Wegtauchen und zum wirklichkeitsverweigernden Schönreden der Probleme. Doch genau in diese Richtung bewegt sich unsere Gesellschaft seit einiger Zeit. Wer öffentlich sagt, dass er mit dem Islam nichts am Hut hat, ist islamophob. Wenn er Pech hat und auf einen besonders engagierten Kämpfer der internationalen Solidarität stößt, avanciert er vielleicht sogar zum Rassisten oder Neonazi. Das Mundtotmachen in der Öffentlichkeit mag gelingen, es initiiert jedoch keinen
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