Neukölln ist überall (German Edition)
am Tisch nie einsam. Die Einladungen nach Glasgow, Tilburg und Oslo verdanken wir diesem Projekt. Die Besuche verhalfen uns zu einem erheblichen Erkenntnisgewinn, insofern will ich auch nicht undankbar sein.
Zur Sache selbst muss ich zugeben, meine Einschätzung, dass so ein Europaprojekt zu praktischen Ergebnissen führen und als tatsächliche Arbeitsveranstaltung mit Zielhorizont versehen sein könnte, war etwas niedlich laienhaft. Als ich später mit erfahrenen »Europäern« über meinen Frust sprach, lachten sich diese halbtot. Man wisse doch, wurde mir gönnerhaft erklärt, dass derartige Europaprojekte den Reisekadern und Hotelfetischisten auf den Leib geschneidert seien und es nur um die Bestätigung von Sonnenschein-Thesen und Blühende-Landschaften-Theorien gehe. Solche Projekte sind problem- und konfliktfreie Zonen.
Heute kann ich das uneingeschränkt bestätigen. Europa mit seiner Administration ist eine eigene Welt. Man trifft sich, ist nett zueinander und sich auf hohem intellektuellen Niveau einig über das im Werden befindliche Paradies Europa. So empfanden wir Neuköllner auch das Projekt Intercultural Cities. Wir wurden immer gerne besucht, und man erlebte auf der Tribüne mit Begeisterung den Karneval der Kulturen. Es sollte stets schön bunt und unterhaltsam sein. Die Herausforderungen der Arbeit der Stadtteilmütter erfüllten diese Prämisse nicht. Die Suche nach abwechslungsreichen Beispielen für kulturelle Vielfalt und sozialen Zusammenhalt, also nach diversity and cohesion , verträgt keine Schattenbilder.
Dieser abstrakte Seminarismus auf der Metaebene war nicht unsere Welt. Vielleicht waren wir auch zum Netzwerkebilden, sich immer wieder gegenseitig Einladen und so um die Welt Reisen einfach zu dumm. Und so zogen wir uns heimlich, still und leise aus der ersten Reihe zurück. Insgesamt wird es das Projekt bis zu seinem Ende im Dezember 2012 auf 50 offizielle internationale Begegnungen bringen. Wie viele bi- und trilateralen Reisekader sich einem noch intensiveren Gedankenaustausch hingegeben haben, ist mir natürlich nicht bekannt. Ich gehe davon aus, dass durchaus auch einige wirklich sachorientierte Begegnungen zustande gekommen sind. Für Neukölln möchte ich die Inspirationen aus Tilburg, Glasgow und Oslo jedenfalls nicht missen. Sie ergänzten unsere Erfahrungen aus Rotterdam, London und später Neapel ideal. Die Identität der Entwicklungen und die zum Teil völlig divergierende Art, damit umzugehen, sind faszinierend. Wer frisch in die Politik einsteigt und sich der Integration widmen will, sollte unbedingt mit einer kleinen Exkursion beginnen.
Wir waren stets eine kleine Gruppe, die sich aufmachte. Sie bestand immer aus dem Migrationsbeauftragten Arnold Mengelkoch, der Jugendrichterin Kirsten Heisig, die vor dem Neapel-Besuch aber leider bereits aus dem Leben geschieden war, dem Schuldezernenten Wolfgang Schimmang, später seiner Nachfolgerin Dr. Franziska Giffey und meiner Person als dem Kernteam. Je nach Interesse nahmen die damalige Jugenddezernentin Gabriele Vonnekold, einzelne Polizeibeamte oder Journalisten teil. Wir waren aber nie mehr als sechs Personen, um die Gruppe für unsere Gastgeber im erträglichen Maß zu halten.
Als sehr bedauerlich habe ich es empfunden, dass die Berliner Polizeibehörde keine einheitliche Haltung zu unseren Einladungen entwickeln konnte. Die Auseinandersetzungen, ob und wenn ja, welcher Polizeibeamte mit ins Ausland reisen durfte, waren mitunter schon so skurril wie überflüssig. Nach meinen Kenntnissen soll diese Frage allerhöchste Stellen des Polizeipräsidiums zu intensiven Erörterungen veranlasst haben. Na ja, wer Zeit hat. Dabei hatten wir immer nur das Ziel, dass möglichst alle im Sozialraum tätigen operativen Behörden einen gleichen Kenntnisstand haben. Also mental vernetzt sind. Die Frage der Vernetzung wird nachstehend noch eine Rolle spielen. Bei der Vorbereitung unserer Reisen hat es da wohl Überforderungen gegeben.
Bitte sehen Sie es mir nach, dass ich mich hinsichtlich der Bewertungen der einzelnen Erlebnisse in den jeweiligen Städten mit Zensuren zurückhalte. Ich bin den Stadtverwaltungen sehr, sehr dankbar, dass sie uns empfangen haben, auf hochrangiger Ebene Gesprächspartner zur Verfügung stellten und uns letztendlich in ihre Karten haben schauen lassen. Es ist nicht so einfach, in andere Länder zu reisen und tatsächlich die Türen geöffnet zu bekommen. Wir wollten aber nicht zu den schönen Orten, die man
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