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Neukölln ist überall (German Edition)

Neukölln ist überall (German Edition)

Titel: Neukölln ist überall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Buschkowsky
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donnerstags und freitags keine Hausaufgaben als Leistungskontrolle mehr aufgegeben werden, ist für ihn ein Akt der Humanisierung der Arbeitswelt der Lehrer, aber keine Maßnahme zur Bekämpfung der Bildungsferne. Bequeme Eltern verlassen sich nur allzu gerne auf Schule und Hort. Man wird dort schon mit dem Kind geübt und die Hausaufgaben kontrolliert haben. Bildungsorientierte Eltern hingegen überprüfen das am Abend und erleben nicht selten eine Überraschung. Die Ganztagsbetreuung ersetze nicht die Verantwortung der Eltern und das Üben zu Hause. Thilo Sarrazin sagt, unser Schulsystem werde erst dann wieder richtig funktionieren, wenn jene Lehrer wieder das höchste Ansehen genießen, bei denen die Schüler am meisten lernen. Und nicht jene Lehrer, die die meisten Einsen geben und die sich Ruhe durch Niveauabsenkung erkaufen.
    Als Beleg für diese Leistungsverweigerung berichtet Thilo Sarrazin aus dem Berufsleben seiner Frau. Weil sie ihren Unterricht auf Ergebnisse und Leistung ausrichtete, wurde sie von der Schulleitung immer damit »belohnt«, dass man ihr besonders viele türkische Kinder in die Klasse gab. Und ein ausgesprochenes Glücksgefühl erfüllte sie, als man sie dann anwies, dem übrigen Kollegium zu verschweigen, dass ihre Klasse beim ersten VERA -Test als beste der ganzen Schule abgeschnitten hatte. Die Rektorin befürchtete, es könnte das Klima im Kollegium beeinträchtigen.
    Für Thilo Sarrazin herrscht im Berliner Bildungssystem die Mentalität, Leistung und Leistungsunterschiede nicht objektiv messen zu wollen und, wenn dann schon gemessen wird, wenigstens die Ergebnisse zu verschweigen. Für ihn steckt dahinter mangelnde Konfliktbereitschaft, die mit dem angeblichen Fürsorgegedanken bemäntelt werde, leistungsschwachen Lehrern oder Schülern einen psychischen Schaden zu ersparen. »Solange man diese Mentalitäten nicht ändert, wird auch das Berliner Bildungssystem nicht gesunden«, sagt er. Die Humanisierung des Arbeitslebens der Lehrer führe nicht automatisch zu einem Leistungsgewinn bei den Schülern.
    Ich berichte über die beiden Neuköllner Modellprojekte Albert-Schweitzer-Schule und Rütli-Schule. Messbar können wir belegen, dass die Bildungserfolge mit einem anderen Schulalltag deutlich zunehmen. Auch hier ist Thilo Sarrazin mit dem Verriss schnell bei der Hand. Der Hinweis, dass die Albert-Schweitzer-Schule die Abiturientenzahl in vier Jahren versechsfacht hat, quittiert er mit der rhetorischen Frage: »Was werden das schon für Abiture sein?« Es gebe eine Noteninflation ohne Ende. Bald bekämen alle, die überhaupt bestehen, eine Eins. Das ist so ein Moment in dem Gespräch, bei dem ich massive Zweifel empfinde, ob es Thilo Sarrazin wirklich um eine Veränderung der Zustände geht. Oder ob er nicht doch einer von den beiden in der Loge im ersten Rang ist: Sie erinnern sich an Statler und Waldorf, die ewigen Nörgler aus der »Muppet Show«?
    Zugegeben, ich bin etwas angefressen. Dieses Miesmachen von erfolgreichen Politikansätzen, ohne sie überhaupt näher zu kennen, empfinde ich nicht als professionell. Ich will Thilo Sarrazin aus der Reserve locken und konfrontiere ihn mit einer Aussage in der Süddeutschen Zeitung . Er wird dort mit dem Satz zitiert, es sei »eine Illusion zu glauben, man könne Menschen oder sogar soziale Schichtungen durch die Schule ändern«. Ich finde diesen Satz so falsch, wie etwas nur falsch sein kann. Frühere Generationen aus dem Stand der ungebildeten Leibeigenen und der malochenden Arbeiterklasse konnten nur deshalb zu Wohlstand gelangen und in der Gesellschaft aufsteigen, weil das Bildungssystem ihnen mit einem neuen Wertegerüst zu mehr Denken und Verstehen und damit auch zu mehr Chancen verholfen hat, das Leben in die eigene Hand zu nehmen. Ich selbst bin ein Beispiel dafür.
    Thilo Sarrazin weist dieses Zitat weit von sich. Er sei falsch zitiert worden. Ich kann das nicht beurteilen und nehme das Dementi also so hin. Nun ja, vielleicht war das aber auch wieder eine solche Spontanschöpfung im Gespräch wie die »Kopftuchmädchen«. Dann würde es ihn zieren zu sagen, sorry, war nicht der klügste Spruch, wir lassen ihn morgen weg.
    Zusammen mit seiner These, dass die falschen Anreize im Sozialsystem radikal abgeschnitten werden müssen, kommt Thilo Sarrazin auf das Thema der ungleichen Kompetenzen einzelner Ethnien im Integrationsprozess zu sprechen. Er nimmt Bezug auf die Eingliederung und die aktiven Integrationsleistungen von

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