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Neukölln ist überall (German Edition)

Neukölln ist überall (German Edition)

Titel: Neukölln ist überall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Buschkowsky
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gerne zeigt und auf die jeder stolz ist. Wir wollten dorthin, wo es manchmal nicht so gut riecht und wo die leben, die sich ausgegrenzt fühlen oder es auch sind. Also in die Brennpunkte, dorthin, wo die Probleme evident sind. Dafür braucht man Freunde, die werben: Ich weiß, dass vor Ort einige ihr Wort und ihren guten Namen für uns verpfändet haben, dass die Offenheit anschließend nicht missbraucht wird. Wir hatten das Glück, auf Menschen zu treffen, die unser Anliegen verstanden, es teilten und uns halfen. Allen Botschaftern und Generalkonsuln und insbesondere ihren operativen Mitarbeitern sei an dieser Stelle ein Dankeschön zugerufen.
    Es ist nicht die feine Art, erst bei anderen in die Töpfe zu schauen, um dann hinterher am Essen rumzumäkeln. Natürlich wird die eine oder andere wertende Bemerkung aber nicht völlig zu verhindern sein. Es waren mitunter recht freimütige Analysen und Diskussionen, in denen uns das Leben so geschildert wurde, wie es tatsächlich ist. Für gewöhnlich ist das nicht der Stoff, den man ausländischen Delegationen bietet. Für uns aber war es lehrreich. Soziographische, soziale und strukturelle Verwerfungen, kulturelle Reibungen, Bildungsferne und Kriminalität in Stadtlagen sind sich sehr ähnlich. Die Ursachen auch. Unterschiedlich sind die Reaktionen, die Betroffenheit und der Ausschlag auf der Skala der Aufgeregtheit. Es überraschte mich schon, wie unterschiedlich das Engagement einzelner Stadtverwaltungen ausgeprägt ist, sich nachhaltig ihrer Problemzonen zu widmen.
    Es war kein Zufall, dass unsere erste Reise uns 2008 nach Rotterdam führte. Seit vielen Jahren gibt es zwischen der Stadt Rotterdam und Berlin-Neukölln freundschaftliche Beziehungen auf der Ebene der Stadtverwaltungen. Diese drücken sich weniger in einem Wettbewerb für Büffetmarder aus, sondern orientieren sich eher an fachlichen Diskursen zu Fragen der Einwanderung, des Sozialsystems und der inneren Sicherheit. Im Jahr 2004 besuchte uns eine hochkarätige Delegation aus den Niederlanden, um in Berlin-Neukölln zu schauen, wie wir mit bestimmten Situationen umgehen und fertig werden. Das war noch vor der Ermordung Theo van Goghs. Nur kurze Zeit danach geschah dieses schreckliche Verbrechen, und es folgten heftige Unruhen im Land. Die Verbindungen zwischen beiden Städten blieben stets erhalten.
    Zur ersten Konferenz fällt mir eine kleine Anekdote ein. Ich hatte im Vorfeld versucht, die Presse zu interessieren, und bot sogar Exklusivberichterstattung an. Die Reaktionen waren enttäuschend. »Integration? Das ist doch kein Thema.« 14 Tage später, nach dem Mord, gaben sich dieselben Journalisten die Klinke im Rathaus in die Hand – plötzlich wollten alle ein Interview zur Integration. Das ist halt so, only bad news is good news .
    Der damalige Bürgermeister von Rotterdam, Ivo Opstelten, präsentierte 2008 in der Niederländischen Botschaft in Berlin das Rotterdam-System. Er war in seinen Formulierungen nicht zimperlich. Eine Kostprobe davon lautet: »Wir haben Straße für Straße und Viertel für Viertel für die niederländische Bevölkerung zurückerobert.« Das mussten wir uns ansehen, und im Juni desselben Jahres war unsere kleine Gruppe dann zu Gast in Rotterdam.
    Das war der Beginn unserer Exkursionen. Noch in 2008 folgte London, 2009 Glasgow, ebenfalls 2009 Oslo und 2011 Neapel. Wir waren dort jeweils für drei Tage, in denen wir ausschließlich Einrichtungen besuchten, die in der Integrationspolitik der jeweiligen Stadt eine besondere Rolle spielten, und Gespräche mit der Stadtverwaltung, der Justiz, der Polizei sowie den Sozialdiensten führten.
    Diese intensiven Erfahrungen aus anderen europäischen Städten haben mich sehr geprägt. Ich wünschte allen, die sich politisch mit den Veränderungen der Bevölkerungsstruktur der Städte in Europa beschäftigen, dass sie auch hin und wieder woanders mit den Augen und den Ohren stehlen gehen. Vielleicht mindert es die Selbstverliebtheit, mit der sich die Parteiarbeitsgruppe XY ihrem nächsten Beschluss zu einer Resolution widmet. Mein Resümee lautet jedenfalls, dass in den anderen Städten die dort politisch Verantwortlichen im Grunde genommen vor den gleichen Herausforderungen standen und stehen wie wir in Berlin oder ich konkret in Neukölln. Manchmal geht es woanders auch noch heftiger zu als bei uns. Dieser Satz ist für all diejenigen, die davon überzeugt sind, dass immer nur wir es sind, die das Leid dieser Welt auf ihren Schultern

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