Neukölln ist überall (German Edition)
schaden. Wie gut wir tatsächlich im Wettkampf um die junge Intelligenz auf diesem Planeten aufgestellt sind, zeigte die mäßige Nachfrage der Green Card der Bundesregierung unter Führung von Kanzler Schröder. 15 000 haben davon Gebrauch gemacht, was weit unter den Erwartungen lag. Deutlicher konnte die Demonstration nicht ausfallen, dass Deutschland bei Leuten, die etwas auf dem Kasten haben und ihr Glück und Wohlstand außerhalb ihrer Heimat suchen, nicht an erster Stelle steht. Auch nicht bei türkischen Abiturienten. Die zieht es eher in die USA oder nach England. Es bleibt ihnen einfach zu wenig Netto vom Brutto. Das ist im Übrigen auch einer der Gründe, warum von uns gut ausgebildete junge Leute aus Deutschland auswandern und in andere Länder gehen bzw. in das Heimatland vom Großvater zurückkehren. Einfach, weil sie dort größere Chancen sehen, mehr Geld zu verdienen.
Der Demographiehammer wird kommen. In welchem Umfang, in welcher Art und mit welcher Geschwindigkeit, werden wir sehen. Eines aber steht fest: Wenn es schon immer weniger werden, die das Bruttoinlandsprodukt erarbeiten, also Werte schaffen, während es auf der anderen Seite immer mehr werden, die durch ihr Lebensalter die Soziallasten erhöhen, also Werte verbrauchen, dann können wir es uns auf gar keinen Fall erlauben, mit denen, die da sind, weiter so liederlich umzugehen wie bisher. Die Geburtenrate ist das eine. Ihre Bandbreite in der Bevölkerung etwas ganz anderes.
Es ist kein Geheimnis, dass Einwandererfrauen mehr Kinder bekommen als die Bio-Deutschen, insbesondere als die hochqualifizierten. Frauen mit Migrationshintergrund stellen inzwischen 30 % aller Mütter. Nach den Erhebungen des Mikrozensus haben nur 13 % der 35 bis 44 Jahre alten Frauen keine Kinder bekommen. Bei Frauen ohne Migrationshintergrund sind es allerdings 25 %. Also doppelt so viele Frauen, die keine Kinder bekommen haben. Dieser Unterschied setzt sich bei der Zahl der Kinder fort. In Berlin zum Beispiel haben nur 14 % aller Mütter zwischen 15 und 75 Jahren drei und mehr Kinder bekommen. Bei Müttern mit Migrationshintergrund waren es in derselben Altersgruppe 26 %, unter den Müttern mit türkischer Staatsangehörigkeit waren es sogar 38 %.
Insgesamt lebten in Deutschland im Jahre 2010 rund 13 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Vor zehn Jahren waren es noch über 2 Millionen mehr. Der Anteil der jungen Menschen an der Gesamtbevölkerung beträgt 16,5 %. In Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden und in den skandinavischen Ländern sind es jeweils mehr als 20 % und in der Türkei mehr als 30 %. In Deutschland wachsen 75 % aller Kinder als Einzelkind oder maximal mit einem Bruder oder einer Schwester auf – nur noch jedes vierte Kind hat zwei oder mehr Geschwister.
Bei den unter 5-Jährigen beträgt der Anteil der Einwandererkinder in Deutschland inzwischen 35 % mit steigender Tendenz. In Großstadtlagen und besonders in den Quartieren mit hohem Anteil an Einwandererbevölkerung ist diese Zahl noch erheblich höher. Bei den 0- bis 15-Jährigen liegt der Anteil in Neukölln bei über 70 %, bei den bis 18-Jährigen, wie schon erwähnt, bei 67 % im Gesamtbezirk bzw. bei 80 % im Neuköllner Norden. Ich erinnere an dieser Stelle an die Ausführungen im Kapitel »Neukölln heute«.
Es ist eine Platitüde, dass Kinder die Zukunft eines Landes sind. Trotzdem ist es richtig, dass in den Gebieten wie Neukölln die Humanressource unserer Gesellschaft liegt. Im Moment pflegen wir dieses Kapital jedoch nicht. Im Gegenteil, wir führen es, bösartig formuliert, fast planmäßig nicht zu einem selbstbestimmten erwerbstätigen Leben, sondern wir reichern mit einem viel zu großen Teil von ihm die Soziallasten der künftigen Generationen an. Nicht nur, dass die Zahl der jungen Leute zur Erarbeitung des Bruttoinlandsprodukts ohnehin zu gering ist. Nein, von den wenigen, die da sind, wird ein nicht unbeträchtlicher Teil auch noch zu »Kunden« des Sozialsystems als Teil der Transfergesellschaft. Unser solidarisches Auffangnetz der Gemeinschaft ist zum Reparaturbetrieb des versagenden Bildungssystems verkommen. Bezogen 1965 noch 160 000 junge Menschen unter 18 Jahren Sozialhilfe, so sind es heute fast zwei Millionen, die Hartz IV erhalten. Das kann auf Dauer nicht funktionieren.
In Berlin entstammen 38 % der Bevölkerung mit Migrationshintergrund bildungsfernen Schichten ihrer Heimatländer.
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