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Neukölln ist überall (German Edition)

Neukölln ist überall (German Edition)

Titel: Neukölln ist überall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Buschkowsky
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gleichermaßen durch Verwahrlosung geprägt wie der, der kahl geschoren ist und einen Trainingsanzug mit Kapuze anhat. Mit Blick auf die Geburtenrate stellt sich nur das Problem: Verwahrlost heißt nicht impotent.
    In Berlin haben 80   % der Intensivtäter einen Migrationshintergrund und verfügen über selbst erlittene Gewalterfahrung. Es ist gesicherte Erkenntnis, dass in bestimmten migrantischen Milieus Gewalt, insbesondere interfamiliäre Gewalt, eine diskussionsbeendende und hierarchiebestimmende Akzeptanz genießt. Von den 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen haben bisher rund 20 das Recht auf gewaltfreie Erziehung auf eine nationale gesetzliche Grundlage gestellt. Was in modernen, demokratischen Gesellschaften heute selbstverständlich ist, gilt noch lange nicht überall auf der Welt.
    Gewalt in der Familie und eine keinen Widerspruch duldende autoritäre Erziehung sind mit Sicherheit eine entscheidende Grundlage für den überproportional hohen Anteil an Gewalttaten durch junge Männer mit Migrationshintergrund. Selbst für den Türkischen Bund steht fest, dass schon durch die Erziehung in den Familien Gewalt als normal angesehen werde. »Gewalt gilt als probates Mittel.« Familien, in denen Väter zwar nicht arbeiten gehen, kein oder nur ganz schlechtes Deutsch sprechen, aber ansonsten immer das letzte Wort behalten und alles bestimmen wollen und dies zur Not mit der Faust oder dem Bügel durchsetzen, das sind, denke ich, auch die Familien, in denen ein Schulabschluss weniger Bedeutung entfaltet als die sogenannte Familienehre.
    Wer mit Gewalt aufgewachsen ist und Gewalt für sich adaptiert hat, der wird auch Gewalt an seine Kinder weitergeben. Gewalt führt immer wieder zu Gewalt. Auf die Frage, ob ein Mann seine Frau schlagen darf, wenn sie ihn betrügt, antworteten 4   % der bio-deutschen Jungen mit ja, bei den türkischen waren es 24   %. Nach der Erhebung durch das KFN erleben 45   % der Kinder in türkischstämmigen Familien Misshandlung und schwere Züchtigung.
    Gerade zu diesem Punkt wird mir immer das Argument entgegengehalten, dass es auch Gewalt in deutschen Familien gibt. Natürlich gibt es die. Nicht umsonst hatten wir schon in der Weimarer Republik mit dem Jugendwohlfahrtsgesetz eine Schutzbestimmung für Kinder, die durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz noch erheblich erweitert wurde. Den Unterschied macht die Häufigkeit. In den bio-deutschen Familien beträgt der Anteil vergleichbar leidender Kinder »nur« rund 12   % und rund 6   % bei den Jugendlichen.
    In Neukölln ist es Usus, dass das Jugendamt als Wächter über das Kindeswohl über jeden Polizeieinsatz unterrichtet wird, der mit häuslicher Gewalt unter Anwesenheit von Kindern zu tun hatte. Ich bin immer wieder erschüttert, welche Grausamkeiten das Faxgerät dort ausspuckt. Ich habe darüber keine Statistik geführt, aber gefühlt muss ich zu dem Ergebnis kommen, dass die genannten Werte bei uns noch weit übertroffen werden. Es sind fast nur Einwandererfamilien, bei denen die Polizei bei oder nach schweren Misshandlungen durch die Männer tätig werden muss.
    Neben der familiären Gewalt und der gewaltdurchsetzten Erziehung ist ein weiteres Merkmal bei muslimischen Jugendlichen auffällig. Hierbei handelt es sich um den Ehrenkodex. In traditionellen und auch intellektuell kaum gebildeten muslimischen Elternhäusern spielen tradierte Rollenmuster nach wie vor eine dominierende Rolle. Die männliche Identität kennzeichnet der Begriff »Virilität«, also die Mannbarkeit und die Zeugungskraft, die in der Erziehung zu Kampfesmut, Tapferkeit, Stärke und selbstbewusstem Auftreten münden. Die weibliche Identität wird mit dem Schlüsselbegriff »Virginität«, also Jungfräulichkeit und Unberührtheit, versehen, der in der Erziehung Keuschheit, sexuelle Reinheit und Gehorsam gegenüber Ehemann, Eltern und Schwiegereltern als Ideale fordert.
    Wenn man jungen Männern von klein auf immer wieder beibringt, dass sie selbstbewusst auftreten sollen, kampfesmutig und stark zu sein haben und dass die wichtigste Körperregion ihr Unterleib ist, dann muss man sich nicht darüber wundern, wenn sie ein entsprechendes Paschaverhalten an den Tag legen. Diese Gewalt legitimierende Machokultur begünstigt natürlich das Absenken der Skrupel, Gewalt gegen andere Menschen auszuüben. Befragt, was denn für sie Straßenkampf ist, antworten Jugendliche: »Wenn jemand meine Familie beleidigt oder meine Ehre.« Diese diffusen Vorstellungen

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