Neukölln ist überall (German Edition)
wie gemein die Welt zu ihnen ist und dass an ihrer Lage nur die Gesellschaft schuld sei. Die Eltern sind fassungslos, sagen, dass sie für ihren Sohn alles getan hätten, er nur in schlechte Gesellschaft gekommen sei, und die Polizei habe ihn auf dem Kieker gehabt. Es kann aber auch sein, dass sie vor dem Richter sitzen und lachen, ja, selbst im Gerichtssaal ihre Opfer noch verhöhnen. Mitleid und Empathie für die Opfer ist etwas, was sie nicht kennen. Es interessiert sie auch nicht, was aus dem Opfer geworden ist oder noch wird. Selbstkritisch muss man wohl anfügen: Sie sind Produkte einer Gesellschaft, die sich eben um junge Leute in prekären Lebenslagen nicht wirklich kümmert, die ihnen nichts abverlangt und die darauf setzt, dass sich schon alles irgendwie zurechtruckelt.
»Intensivtäter kann man nur in den Knast stecken.« Das ist eine harte Aussage, aber im Interesse der Integration und im Interesse des sozialen Friedens im Quartier bleibt nichts anders übrig. Solche Worte von einem Sozialarbeiter oder einem Jugendrichter zu hören ist schon bemerkenswert. Eine weitere Entwicklung muss uns Sorge machen. Unsere Jugendrichter sagen, eigentlich hätten sie es fast nur noch mit den Eierdieben am Rande der organisierten Kriminalität zu tun. Dort, wo wirklich »die Post abgeht«, in den Clans, in der professionellen Unterwelt, da herrscht Schweigen. Auch vor Gericht. Jeder weiß, dass es ihm schlecht ergeht, wenn er den Mund aufmacht. Deswegen bleibt der zu. Da ist etwas entstanden, was mit unserer Werteordnung nichts zu tun hat.
Das ist nicht nur die alleinige Erkenntniswelt eines Bürgermeisters. Die, die tagtäglich mit diesen selbstgezimmerten Rechtfertigungen einer Randgesellschaft konfrontiert werden, sind in ihren Wertungen unmissverständlich. Nachstehend gebe ich Ihnen einen Einblick in meine Gespräche mit verschiedenen Jugendrichtern:
»Nein, vor Gericht öffnen sich die Jugendlichen nicht. Sie präsentieren meist nur dumme und faule Ausreden. Sie wollen nur alles ganz schnell hinter sich bringen. Die Erinnerung an das Opfer stört. Es war doch selbst schuld, warum war es auch gerade da an diesem Ort?«
»Das Problem bei meiner ›Kundschaft‹ ist, dass es in diesen Familien keine Bildungsideale gibt, keinen Willen zum sozialen Aufstieg durch Bildung. Meine jungen Leute haben völlig unrealistische Vorstellungen über ihre Zukunft. Sie wollen alle Profifußballer werden oder Polizeibeamte. Sie wissen einfach nichts mit ihrem Leben anzufangen.«
»Es macht mir wirklich Sorgen, dass in Berlin eine ganze Generation von Kindern aufwächst, die es zu nichts bringen wird. Sie haben nichts gelernt. Gar nichts. Sie werden ihr ganzes Leben lang auf staatliche Transferleistungen angewiesen sein, weil sie kaum lesen und schreiben können. Sie wissen gar nicht, wie es sich anfühlt, sich für etwas anzustrengen, richtig reinzuhängen und darauf dann stolz zu sein. Sie haben kein Selbstwertgefühl und verkraften nicht den kleinsten Rückschlag. Die winzigste Kränkung lässt sie ausrasten, sie sind angefüllt von Frustrationen und Missgunst über den Erfolg anderer und kriegen selbst nichts hin. Sie verfügen weder über Erfahrungsschätze noch Ziele, die ihnen Halt geben könnten. Aber sie haben bei uns eines von Anfang an gelernt: dass man für seinen Lebensunterhalt nichts tun muss.«
»Als Richter bin ich sehr beglückt, wenn ich Hartz- IV -Bescheide sehe, die höher sind als mein Gehalt. Ja, und wie verrückt muss eine Gesellschaft eigentlich sein, die noch Kindergeld für Kinder zahlt, die andere halb totgeschlagen haben und im Knast sitzen?«
»Die Episodenkriminalität ist nach meiner Auffassung auf dem Rückmarsch. Die, die wir allzu häufig wiedersehen, sind nicht nur zu viele, es werden auch nicht weniger. Warum bekannte Familien keinen permanenten Fahndungsdruck spüren, wieso wir sie mit dicken Autos durch die Straßen donnern lassen, obwohl sie Hartz- IV beziehen, erschließt sich auch mir als Richter nicht. Da ist doch ein Anfangsverdacht gegeben, mit dem man die Autos beschlagnahmen kann. Man muss diesen Familien das Leben schwerer machen. Das ist kein Generalverdacht über alle Einwanderer, das ist ein Schutz für Einwanderer, die eine tatsächliche Bereicherung für unser Land darstellen.«
»Aber was ist die Realität? Ich sehe fünf vietnamesische Zigarettenhändler an einer Ecke stehen und gegenüber ein Polizeiauto. Ich gehe hin und frage: ›Warum unternehmen Sie nichts?‹ Die Antwort
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