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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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einem Liebespärchen, und schaltete lieber den Fernseher an und sah Wiederholungssendungen auf Kanal 23. Die hatten etwas Tröstliches. Nicht nur ihr Leben war ein großer Loop. Nach einer Weile kam ihr Vater mit dem Take-away vom Chinesen, und sie setzten sich zu viert zum Essen. Gekocht hatte ihre Mutter noch nie. Nicht jede Frau verbringt ihr Leben gern in der Küche, sagte sie immer, und Vater hatte ihr einmal heimlich erklärt, das sei ihre Reaktion auf Großmutter Lilis obsessives Kochen.
    Aber niemand machte daraus eine große Sache. Manchmal kochte ihr Vater eines der vier Gerichte, die er beherrschte: Spaghetti mit Pilzen und Sahne, Huhn im Wok, Fleischklöße mit Kartoffelpüree und Thunfischauflauf, und manchmal fuhr er Essen holen. Sie stellten die Aluminiumbehälter in die Mitte des Tisches auf eine sich drehende Platte, die ihr Vater für ebendiesen Zweck gekauft hatte, und jeder nahm sich, was er wollte.
    Bei diesem letzten Abendessen war nichts Ungewöhnliches vorgefallen. Natürlich konnte man im Nachhinein ein Zeichen darin sehen, dass Joavi sich weigerte, seinen Kompanieführer nachzuahmen, darin, dass er die Litschis nicht probierte, dass er nach dem Essen gleich wieder schlafen ging und nicht mit seinen Freunden um die Häuser zog. Aber eben erst im Nachhinein.
    Am Schabbat war er erst mittags aufgewacht und nicht hochgekommen, um mit allen Omelett und Salat zu essen. Sie wussten, dass er wach war, Gitarrenklänge drangen aus seinem Zimmer, aber beim Gitarrespielen durfte man ihn nicht stören. Doch dann hatte er Inbar gerufen. Auch das war nichts Besonderes. Er rief sie immer, wenn er Hilfe mit dem Text brauchte.
    Komm rein, sagte er, nachdem sie schon drinnen war, mir fehlt noch ein Reim.
    Sie setzte sich auf das Sitzkissen aus Daliat El-Carmel und hörte ihm zu.
    Er trug eine blaue Trainingshose mit gelben Streifen an den Seiten und ein einfaches weißes T-Shirt, und er war unrasiert. Das war es, woran sie sich erinnerte. Wenn sie gewusst hätte, dass sie ihn das letzte Mal sah, sie hätte sich mehr Einzelheiten eingeprägt.
    Sie erinnerte sich auch nicht mehr an diese Strophe. Er nahm seine Lieder nie auf und notierte sie auch nicht. Er merkte sie sich einfach. Dutzende von Liedern. Alles hier, pflegte er zu sagen und sich dabei an die Schläfe zu klopfen, wenn sie versuchte, ihn zu überreden, es sei doch schade, sie habe einen Freund in Tel Aviv, einen Techniker in einem Tonstudio, und der könne bestimmt was für ihn drehn. Und außerdem, sagte er und legte die Hand zurück auf die Saiten, ist es noch nicht gut genug, um es aufzunehmen.
    Die ersten Zeilen waren eine Beschreibung des Soldatenlebens, etwas wie: Wieder Nachtschicht, allein. Wieder lügen die Sterne, wieder spielt das Radio Songs von Shlomo Artzi, ich mag die Melodie, aber nicht den Text (oder umgekehrt?).
    Danach kamen zwei Zeilen, die bei ihr völlig gelöscht waren, und dann der Refrain –
    Und keiner weiß, was in mir drin passiert
    Und keiner weiß, was in mir drin passiert
    Na na na na na na na
    Und keiner weiß, was in mir drin passiert
    Toller Song, sagte sie, einer von deinen guten. Und er fragte ungläubig grinsend: Kommt der auf die CD? Na klar, der muss auf die CD, ermutigte sie ihn aus ganzem Herzen. Und wo fehlt dir der Reim? Da, wo du na na na na na na na singst? Er nickte, und sie bat ihn, es noch mal zu spielen. Beim dritten Mal brachte sie erste Vorschläge: Und wenn heut Nacht einer infiltriert? Es ist kalt, und mich friert? Warum keiner rebelliert? Erst der letzte Vorschlag passte auf die Melodie, aber er fand es inhaltlich nicht gut. Vielleicht etwas, das mit der Zeit zu tun hat, mit Zeiten, schlug er vor, und sie batihn, es noch einmal zu spielen, und als er an die Stelle kam, fand sie die richtigen Worte, und sie sang:
    Schon Jahr für Jahr, schon jahrelang
    weiß keiner, was in mir drin passiert.
    Das ist es, hatte er gesagt. In seiner Stimme schwang nicht die Freude, die in solchen Fällen gewöhnlich aufkam, und er sang auch nicht noch einmal das ganze Lied mit der neuen Zeile, wie sonst. Er stellte die Gitarre neben sich aufs Bett und legte sich daneben, wie hager er war, und schloss die Augen. Dutzende Male, wenn sie diesen Moment rekonstruierte, setzte sie sich neben ihn aufs Bett, viel Platz war da nicht, und fragte ihn, und, was passiert bei dir innen drin, Bruderherz? Oder einfach: Wie lang musst du denn noch? Doch tatsächlich hatte sie nur ein paar Sekunden gewartet, und als sie sah, dass er

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