Neuland
Paar waren sie nie gewesen, ihr Vater und ihre Mutter, obwohl es durchaus Liebe zwischen ihnen gab. Das heißt, er liebte sie sehr, und sie liebte ihn zurück, so gut sie eben konnte. Vielleicht hätten sie in Frieden weiterleben können, wenn ihr Vater ein Mann der demütigen, willfährigen Sorte wäre. Aber das war er nicht. Er hatte es zwar versucht, aber es brach immer wieder aus ihm heraus: seine Lebensfreude, seine Weigerung, sich damit abzufinden, dass seine Frau ihm und der Welt so lebensverneinend begegnete. Früher hatte Inbar das nicht benennen können, und auch jetzt war sie sich nicht sicher, ob sie nicht manchmal ihre eigenen Vorwürfe mit denen ihrer Mutter gegenüber Großmutter Lili vermischte, doch hatte sie mit ihrer Kinderintuition immer gewusst, dass etwas im Zusammenleben ihrer Eltern nicht stimmte. Einmal, als sie noch ganz klein war – sie war sich fast sicher, dass es sich um eine echte Erinnerung handelte und keine eingebildete –, hatten die beiden sich im Wohnzimmer gestritten, und ihr Vater war danach in ihr Zimmer gekommen, und statt ihr einen Kuss auf die Stirn zu geben, hatte er sich in seiner ganzen Längeneben sie gelegt und einen tiefen Seufzer getan, und sie hatte ihm gesagt, keine Sorge, Papa, es wird alles gut, und hatte ihm den Kopf gestreichelt, und er hatte gelacht, ein Lachen, in dem kein bisschen Freude war, und gesagt, natürlich wird alles gut, Inbarina, ich habe ja dich, und du hast mich, egal was passiert.
Und dennoch, auf den Gedanken, dass ihre Eltern nicht zusammenbleiben würden, war sie in ihrer Kindheit nie gekommen, einfach deshalb nicht, weil sich in den siebziger Jahren in Haifa niemand scheiden ließ.
Erst in der siebten Klasse, als sich die Eltern von Rakefet Biller, der Klassenschönsten, trennten, tauchte in Inbars Kopf dieser Gedanke auf. Ihr war ziemlich klar, mit wem sie im Falle einer Trennung gehen würde, und sie war sehr besorgt, weil die Richter in Fernsehserien das Sorgerecht für die Kinder automatisch der Mutter zusprachen, es sei denn, die war verrückt. Sie war sich nicht sicher, ob die Summe der Absonderlichkeiten ihrer Mutter ausreichen würde, um sie in den Augen der Geschworenen zu einer Verrückten zu machen. Für alle Fälle legte sie in ihrem Tagebuch eine Liste an, die sie hervorziehen könnte, wenn der Richter dies wünschte.
Umarmt nicht gerne, scheut überhaupt jede Art von Berührung
Benimmt sich, als wären literarische Gestalten echte Menschen (!)
Schreit ihre Tochter wegen Kleinigkeiten an, zum Beispiel, wenn diese geräuschvoll Fruchtjoghurt schlürft
Schläft ab und zu eine ganze Nacht lang nicht ein
Isst wie ein Vögelchen und manchmal gar nicht
Bevorzugt eindeutig eines ihrer Kinder, obwohl alle Psychologiebücher sagen, dass das sehr ungesund ist (!)
Bevor der bevorzugte Bruder eingezogen wurde, hatte er Inbar in ihrer Wohnung in Tel Aviv besucht. Wie immer hatte er über den Krach und den Dreck in der großen Stadt geschimpft. Wie immer brachte er ihr ungeschälte Pinienkerne von dem Weg mit, der unterhalb ihres Elternhauses lag. Und wie immer umarmte er sie zweimal: das erste Mal beim Reinkommen und das zweite Mal,nachdem sie ein paar Minuten zusammen auf dem Balkon gesessen hatten, begleitet von dem Satz: Schwesterherz, ich freu mich so, dich zu sehn.
Na, mit was für einem Gefühl gehst du jetzt zur Armee?, hatte sie ihn gefragt, und er hatte einen Schluck von der Sprite genommen, die sie extra für ihn gekauft hatte, und gesagt: Vor allem will ich endlich weg von zu Hause.
Sie hob einen erstaunten Blick zu ihm. Was konnte dem Lieblingskind schon missfallen? Und er sagte: Du hast dich rechtzeitig abgesetzt. Jetzt streiten sie. Die ganze Zeit! Früher haben sie sich gestritten und wieder versöhnt. Jetzt streiten sie nur noch.
Aber du bist im »U-Boot«. Was stört es dich?
Erstens heißt das Ding Bunker, und außerdem hört man ihr Geschrei bis da unten. Aber es ist gar nicht das Geschrei, es sind die Energien, diese schlechten Energien diffundieren durch die Klappe bis zu mir herunter.
Diffundieren! Ich gratuliere zu deinem Wortschatz, Bruderherz.
Wenn ich bei dir bin, Schwester, kommen mir immer solche Wörter.
Dann aber bitte auch ›fallen mir ein‹. Jetzt korrigier mich nicht, du Snob!
Kein Wunder, dass sie sich streiten. Ist ja nicht gerade leicht, mit Mama zusammenzuleben.
Auch Papa ist kein … na ja … kein Unschuldslamm, sagte Joavi, treu der familiären Koalitionsdisziplin folgend.
Was soll das
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