Neuland
heißen? Inbar war entrüstet.
Lass gut sein. Er wiegelte ab. Ich bin nicht gekommen, um über die Eltern zu reden. Gehn wir heute ins Konzert oder nicht?
Wie heißt die Gruppe noch mal?
Prozac , und dass du bis heute nichts von denen gehört hast, ist eine fucking Bildungslücke.
Eine fucking Bildungslücke – alle Achtung, junger Mann, du redest ja schon wie beim Militär.
Sie war mit ihm in das Konzert gegangen, natürlich. Und hatteunter der Musik sehr gelitten, sich aber gefreut, zu sehn, wie er ausflippen konnte und wie er mit der Sängerin mitschrie, alles auf Englisch, es ging, soweit sie bei dem Lärm verstehen konnte, um die Sinnlosigkeit der Liebe, der Karriere und des Lebens überhaupt.
Ja, auch das war ein Zeichen gewesen. Im Nachhinein. Wie sehr er sich mit deren Songs identifiziert hatte. Aber wer hatte denn nach Zeichen gesucht? Alles, was sie sich bei dem Konzert gedacht hatte, war, dass er noch ein Kind war, ganz und gar ein Kind, und warum man plötzlich solche Kinder nahm und in Uniformen steckte. Glaubte denn jemand im Ernst, dass die Uniform aus ihnen Erwachsene machte? Sie schaute ihm beim Tanzen zu und hätte ihn am liebsten in irgendein polsterndes Material gewickelt und in großen Buchstaben »Zerbrechlich« draufgeschrieben.
An seinem ersten Tag in der Armee war sie zur Kaserne Tel Ha-Schomer gefahren, hatte ihr Auto nah am Tor geparkt und gewartet. Um zwölf Uhr einunddreißig berichtete sie den Eltern, sie habe ihre Mission ausgeführt. Der Militärbus aus Haifa mit ihrem lieben Sohnemann an Bord sei im Schritttempo eingefahren, und der liebe Junge habe den Kopf an die rechte Fensterscheibe gedrückt. Sie habe ihm gewunken, er habe zurückgewunken und ihr sogar einen Kuss zugeworfen.
Schön!, hatte ihr Vater gesagt.
Du bist einmalig!, hatte ihre Mutter mit etwas schwächerer Stimme vom Telefon aus dem Schlafzimmer hinzugefügt.
Da machten sie das noch, dass sie zusammen in dieselbe Leitung gingen, zu einer Art Konferenzschaltung. Nachdem Joavi nicht mehr war, hatten sie mit dieser Gewohnheit gebrochen, und mit noch ein paar weiteren Gewohnheiten.
Als sie das erste Mal bemerkte, dass im Arbeitszimmer plötzlich ein Einzelbett mit Laken und Kissen stand, war sie wie angewurzelt stehn geblieben. Sie war dort gewesen, um ein Buch auszuleihen, eines von den Dutzenden aus der Serie, die vier lange Regalbretter beanspruchte (ihre Mutter führte genauestens Buch über die Ausleihen: Jedes Buch, das sie auslieh, wurde auf einem Zettel notiert,der an die Regalwand gepinnt wurde, und Inbar musste es bei ihrem nächsten Besuch in Haifa zurückbringen. Wenn sie es nicht schaffte, musste sie es telefonisch oder per Mail verlängern lassen).
Während sie hin und her schwankte zwischen Dr. Fischer aus Genf oder Die Bomben-Party und Die Reisen mit meiner Tante , das sie als Kind angefangen und nicht hatte zu Ende lesen können, sah sie das bezogene Bett. Darauf zusammengefaltet den ewig hellblauen Pyjama ihres Vaters.
Sie erstarrte.
Auch in ihren schlechten Zeiten, auch wenn sie den ganzen Tag über unversöhnlich schienen, waren sie nachts zusammen in ihr königliches breites Bett schlafen gegangen, dem einzigen Möbelstück in ihrem Haus, das aus dem üblichen Stil der Haifaer Werktätigkeit hervorstach. Baldachinstangen an allen vier Ecken, Holzschnitzereien an der Stirnseite, ganz aus Mahagoni, teuer. Und eine Fernbedienung, mit der man die Neigung der Matratzen verändern konnte.
Kinder waren in diesem Reich nicht willkommen gewesen. Wenn Inbar vor den Eltern aufwachte, musste sie anklopfen und warten, bis jemand zu ihr herauskam. Und am Schabbatmorgen war die Tür immer verschlossen, und sie war für Joavi verantwortlich, bis Papa aufwachte, sich aus den Federbetten wälzte, die es nur im elterlichen Bett gab, aufstand und ihnen Käseomelett machte.
Auf dem Bett im Arbeitszimmer dagegen gab es nur eine dünne Decke, die eher wie eine Tagesdecke aussah. Und das Kissen war klein und bunt, ohne Überzug; es hatte früher als Zierkissen im Wohnzimmer gelegen.
Auf das, was Joavi passiert war, hatten ihre Eltern ganz unterschiedlich reagiert. Ihr Vater trat einen Kreuzzug zur Aufdeckung der Wahrheit an. Nur wenn wir wissen, was dort wirklich passiert ist, können wir …, hatte er Inbar am Ende der Schiv’a gesagt, aber nicht weitergesprochen. Nach Joavi brachen alle seine Sätze in der Mitte ab. Er ließ seine Kontakte in der Akademie und in allen einflussreichen Kreisen spielen, damit
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