Neuland
Tochter verlassen? Und ihnen dann zwei Jahre lang verheimlichen, dass er eine neue Familie hat? Mit dieser Vivian hatte er bestimmt schon früher eine Affäre, hat sie wahrscheinlich auf einem seiner Kongresse im Ausland getroffen. Wie sonst war das alles so schnell passiert? Aber Papas Mädchen bleibt auch noch mit dreißig Papas Mädchen. Sie braucht ihn auch mit dreißig noch. Doch statt dass Inbari wütend auf ihn ist, versteht sie ihn! »Er hatte keine andere Wahl.« »Es ist ihm nicht leichtgefallen.«
»Nicht leicht«. Das Leben ist nicht leicht. Keiner hat es leicht. Aber wenn du Kinder hast, hast du nicht das Privileg, wählerisch zu sein.
Vom ersten Moment an hatte sie Inbars Vater nicht gemocht. Nein, das stimmte nicht ganz. Wie konnte man einen Mann wie Jossi Benbenisti nicht mögen? Immer hatte er gleich nach den Familienessen das Geschirr abgeräumt und sich in Spülposition begeben. Er hatte nicht gut abgespült, sondern wie einer, der in Gedanken anderswo ist, aber mit viel gutem Willen. Sauber wurden die Sachen dabei nicht. Bei jedem Besuch brachte er kleine Geschenke mit: Blumen für sie, besondere Wasserfarben für Natan. Er umarmte, küsste, lachte mit einem Mund voller Zähne. Erzählte Geschichten, über denen ein Hauch von Flunkerei lag. Zwirbelte seinen Bart. Fragte sie, bevor er ging, ob sie wollten, dass er etwasim Haus repariere. Fragte das nicht, wenn Natan dabei war, um seine Ehre nicht zu verletzen. Und wenn sie ja sagte, blieb er noch eine Weile. Schraubte, bohrte, enthakte einen störrischen Rollladen. Dagegen konnte man nichts sagen, Jossi Benbenisti hatte einen neuen Geist in ihr Haus gebracht. Ein viertes Bein am Familientisch, der mit drei Beinen immer wacklig gewesen war –
Aber getraut hatte sie ihm nie.
Was ihr nicht gefiel, war schlicht und ergreifend sein Blick. In ihrer Dummheit hatte sie nach einem gemeinsamen Abendessen Hanna gegenüber eine Andeutung gemacht, à la: »Ist ja schön, dass er Ingenieur lernt, aber pass auf, dass du dich nicht noch für ihn genieren musst« – und damit endgültig dafür gesorgt, dass Hanna ihn heiratete, um ihr zu beweisen, dass sie im Unrecht war. Aber bei dieser Art von Männern konnte man sich kaum vertun. Von Anfang an war klar, Jossi Benbenisti war kein Clark Gable. Bei der Hochzeit hatte er bereits einen winzigen Bauch, der mit jeder Fahrt zu seinen Kongressen im Ausland größer wurde. Aber er war nicht hässlich. Er hatte diesen verlangenden Blick, mit dem er jede Frau, die sich mehr als ein paar Sekunden in seinem Radius aufhielt, anschaute, sogar seine verwelkte Schwiegermutter, ein Blick, der sagte: Hast du was, was ich brauchen kann? Etwas, wonach mich hungert? Um das zu bekommen, bin ich bereit, dir so viel zu schmeicheln wie nötig.
Ihr Natan hatte diesen Blick nicht gehabt. Als sie im Kibbuz ankam, erzählten ihr die Kameradinnen: Jedes Mal, wenn eine es bei ihm versuchte, fing er gleich von dir an. Wir haben gedacht, wir sind ihm nicht gut genug und er habe sich »seine Lili« nur als Ausrede ausgedacht.
Fima dagegen hatte genau diesen Blick gehabt. Immer wenn sie an Deck unterwegs war, hatte sie ihn gespürt. Wie ein Brennen, immer an einer anderen Stelle ihres Körpers: am Hintern, am Hals, an den Hüften. Anfangs hatte sie sich schnell umgedreht, um ihn in flagranti zu erwischen. Danach hatte sie sich mit dem Brennen begnügt, aus Angst, ihre Blicke würden sich treffen. In seinem Blickwar etwas Unangenehmes, Anrüchiges. Doch da er es bei Blicken beließ und nicht mehr unternahm, konnte sie ihre Klagen nur bei Esther abladen.
Sie lehnten in der Dämmerung an der Reling und beobachteten zusammen eine Gruppe Delphine, die das Schiff schon seit mehreren Stunden begleitete. Die Delphine umkreisten auf verschiedenen Routen die Rettungsboote, und ab und zu, wenn jemand ihnen vom Heck aus etwas zuwarf – sagen wir einen leeren Sack –, drängelten sie sich, wer ihn als Erster im Mund halten dürfe. Der Sieger sprang dann in die Höhe, doch als er, wieder im Wasser, sah, dass seine Beute nicht viel wert war, ließ er sie fahren, fand sich damit ab und zog wie die anderen weiter seine Kreise …
Was dieser Delphin versteht, wird auch Fima schließlich verstehen, sagte Esther.
Was willst du damit sagen?
Wenn du ihn weiterhin ignorierst, wird er merken, dass du keine leichte Beute bist, und dich in Ruhe lassen, erklärte Esther, und Lili dachte sich, ja, sie ist klug, und sie hat Recht.
Doch sogar bei der traurigen
Weitere Kostenlose Bücher