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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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Geistreiches ein. Vielleicht morgen, dachte sie. Aber vielleicht wechsel ich morgen auch das Hotel. Sie holte das Telefon heraus, um Ejtan anzurufen. Sie musste ihm die lakonische SMS erklären, die sie ihm vom Flughafen in Berlin geschickt hatte, doch die Batterie war leer, und der Stecker ihres Ladegeräts passte nicht in die peruanische Steckdose. Vielleicht besser so, dachte sie. Ohnehin hatte sie bisher keine passable Begründung parat.
    Während sie die Augen schloss, kam im Zimmer nebenan eine Frau zum Höhepunkt. Ein kurzes, rhythmisches Stöhnen.
    Es weckte ihren Neid, und sie zog sich die dünne Decke über, schloss die Augen und versuchte sich vorzustellen, wie eine Bande peruanischer Räuber sie entführte und der Mossad-Agent mit dem hervorstehenden Adamsapfel und den ergrauten Schläfen beauftragt wurde, sie zu befreien, doch gerade als er die Seile, mit denen man sie an einen Baum gefesselt hatte, aufknotete und mit dem Finger über eines der Male fuhr, die sie auf ihrer Haut hinterlassen hatten, wurde das Stöhnen nebenan sehr laut, drängte sich in ihre Fantasie, und plötzlich klang es für sie wie ein Schluchzen, nicht wie die pure Lust, und als sie die Augen wieder schloss, um trotz der Angst mit ihrem Film weiterzumachen, klappte es nicht mehr; die Handlung war noch da, die Lust aber nicht, und sie wusste, dass sie es in dieser Situation nicht erzwingen konnte. So ließ sie es, ging zur Tür, prüfte, dass sie verriegelt war. Sie schloss das Fenster, zog den Vorhang zu, legte sich dann auf den Bauch und versuchte es mit Arschatmen.

Lili
    Wissen ist besser als Nichtwissen, selbst wenn es sich um empörende Dinge handelt. Im Laufe der letzten vierundzwanzig Stunden gingen ihr die verschiedensten Szenearien durch den Kopf, und von Stunde zu Stunde wurden sie schlimmer: Inbar ist gekündigtworden, deshalb haben sie heute im Abspann der Sendung ihren Namen nicht genannt (so viele Werbespots zwischen den einzelnen Hörern, und alles so laut!); Inbari hat eine schwere Krankheit (all diese Gespräche mit diesem Gräuelding von Handy, sie hatte gewusst, dass das mal bös enden würde!); Inbari ist verschwunden und unterwegs, sich das anzutun, was Joavi sich angetan hat, bei dieser Neigung gibt es doch auch einen genetischen Anteil, das ist wie ein Seelenfass, das nur darauf wartet, dass einer ein Streichholz anreißt, und vielleicht war Joavi dieses Streichholz, und es handelt sich um eine Spätzündung; und vielleicht ist überhaupt Hanna diejenige, der etwas zugestoßen ist, was Inbar und Ejtan vor ihr verheimlichen, sie nutzen ihr Alter aus, um sich gegen sie zu verbünden, und schmieden Ränke gegen sie –
    Inbar habe ihre Mutter in Berlin besucht, und jetzt habe sie sich entschieden, noch ein bisschen in Peru rumzufahren, hatte Ejtan gesagt.
    Sie hatte aufgeatmet, doch ihre Stimme hatte, ihrem Image getreu, zornig geklungen: Dann nimmt jetzt auch schon Inbar von denen Wiedergutmachung an.
    Lili, du musst wissen, es war für sie verdammt schwer, da hinzufahren, hatte Ejtan sofort zu Inbars Verteidigung gesagt. Deshalb wollte sie auch nicht, dass du …
    Und du musst wissen, war sie dazwischengefahren, dass ihr Urgroßvater, mein Vater, von diesen Menschen in die Gaskammern getrieben wurde. Und noch etwas musst du wissen, dieses andere Deutschland, das gibt es nicht; unter ihrem kultivierten Äußeren sind sie genau dieselben geblieben. Nur dass sie jetzt nicht Juden hassen, sondern Türken oder Ostdeutsche. Stimmt, sie schreiben Gedichte und gehen in Konzerte. Sie sind genauso aufgeklärt wie damals, in den dreißiger Jahren. Aber auch heute kennen sie keine Gnade.
    Na … gut … Inbar wird dich bestimmt noch von dort anrufen, aus Peru, hatte Ejtan gesagt und war nicht weiter auf sie eingegangen.
    Ich bin nicht sicher, ob ich dann zu Hause sein werde, hatte sie noch gepoltert, doch sofort hatte eine andere Stimme in ihr aufgelacht: Wo genau will eine alte Frau wie du denn hingehn? Bis wohin tragen dich deine schmerzenden Beine noch? Zum Schlafzimmer? Zum Fahrstuhl? Bis zum Laden an der Ecke?
    Sie kam bis zu ihrem Erinnerungsstuhl, rückte ihn so, dass die Sonnenstrahlen genau im richtigen Winkel auf sie fielen, stellte den Ventilator auf Stufe zwei und setzte sich hin –
    Und konnte sich an nichts erinnern. Inbars Bild stand ihr vor Augen und ging einfach nicht weg. Peru? Warum plötzlich Peru?
    Das ist alles nur wegen diesem Mann, ihrem Vater. Wie kann ein Mensch einfach so seine Frau und seine

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