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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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haben.
    Dori holte tief Luft und sagte, ja, das ist wirklich ein bisschen unheimlich. Als ob die Gedanken meines Vaters, nachdem er abgereist ist, in diesem Hostel zurückgeblieben sind und umherschwebten, bis jemand Passendes kam, in dessen Kopf sie sich festsetzen konnten –
    Und dann haben sie uns gesehen, wie wir die Treppen auf die Insel hochkamen, und …
    Genau.
    Nach einem noch zäheren Schweigen, das viele Möglichkeiten offenließ, erzählte Inbar: In Haifa gibt es ein Gymnasium, auf das hätte ich eigentlich gehen sollen. Meine ganze Grundschulklasse ist dahin gewechselt. Nur ich bin auf ein anderes gegangen, von dem meine Mutter meinte, es sei besser für mich. So hat mein ganzes Leben eine völlig andere Richtung bekommen als das Leben derer, die mit mir auf der Grundschule waren. Vor einer Weile haben sie mich dorthin eingeladen, in dieses Gymnasium; ich sollte vor Schülern im Wahlfach Kommunikation einen Vortrag über Schülerradio halten. Und als ich durch die Flure ging, hatte ich das sonderbare Gefühl, dass auch dieses Gymnasium eine Station meines Lebens war. Verstehst du mich?
    Hilf mir auf die Sprünge.
    Vielleicht gibt es ja so seine Art kollektives Unterbewusstsein, das sich auch an die Wege erinnert, die man nicht gegangen ist. Vielleicht kommt dir deshalb auf diesem Kontinent alles so vertraut vor. Vielleicht hat dieser Sturm deines Vaters ihn deshalb letztendlich genau in dieses Argentinien geschickt, über das wir auf den Stufen geredet haben. Ich weiß nicht. Vielleicht red ich auch nur Quatsch, weil ich nicht weiß, was ich dir zu dem Tagebuch deines Vaters sagen soll, außer einem: Ich glaube nicht, dass er sich etwas antun will –
    Du musst gar nichts sagen, sagte er. Ihn überkam ein gewaltiger Drang, seinen Kopf an ihre Schulter zu legen, so wie sie ihren Kopf an seine Schulter gelegt hatte, er wollte etwas ausruhen von den Anstrengungen der Suche und von der Anstrengung, diese Suche nicht aufzugeben, von der Anstrengung, vor dem Tagebuch seines Vaters nicht zu erschrecken, und von der Anstrengung, ihm nicht gleichgültig gegenüberzutreten, und nicht mit seinem Vater wegen früherer Kränkungen abzurechnen und auch nicht auf Alfredo loszugehen, und von der Anstrengung, nicht der Sehnsucht nach Hause nachzugeben, und auch nicht der Tatsache nachzugeben, dass diese Sehnsucht plötzlich schwieg, er wollte sich ausruhen von der Anstrengung, nicht zu viel an seine Mutter zu denken, nicht zu viel an Neta zu denken und nicht an das Geld, das jeder weitere Tag dieser Reise kostete, fünf Monatsgehälter waren schon hin, und von der Anstrengung, Spanisch zu verstehen, und von der Anstrengung, ohne Sauerstoff zu atmen, und von der Anstrengung, seinen Kopf nicht an Inbars Schulter zu lehnen, denn den Kopf an eine fremde Frau zu lehnen, das macht verletzbar, zu verletzbar, und in dem Moment, in dem er das tun würde, würde das kühle Glühen, das langsam die Wunderkerze hinaufkroch, den kritischen Punkt erreichen, und dann könnte er sich nicht mehr –
    Allein die Tatsache, dass du bei mir bist, sagte er schließlich, ich meine … das alles fiele mir viel schwerer, wenn ich jetzt allein wäre.
    Ich fahr mit dir auch weiter nach Argentinien, sagte sie und schlang die Arme um sich selbst. Das heißt, wenn du möchtest.
    Und er sagte, ich weiß nicht, und fügte sofort hinzu: Erst mal muss ich sehen, ob ich selbst da hinfahren will.
    Und sie sagte: Was heißt das, ob du willst? Du musst. So, wie er schreibt, da fragt man sich doch, ob dein Vater noch ganz im Lot ist. Und außerdem, willst du nach dieser ganzen Anstrengung umkehren, ohne ihn gesehen zu haben? Ohne wenigstens mit ihm gesprochen zu haben?
    Und er sagte: Ich bin schon fast drei Wochen hier. Das kostet viel Geld. Und viel Zeit. Und zu Hause werde ich gebraucht.
    *
    Abends lieh er sich Alfredos Telefon und rief aus seinem Zimmer Roni an und erzählte ihr ausführlich von den neuen Entwicklungen, und aus allen Bildern, die er ihr beschrieb, schnitt er Inbar heraus, wie ein sowjetischer Beamter aus der Enzyklopädie die Seiten herausreißt, von denen der Kreml nicht will, dass die Öffentlichkeit sie zu lesen bekommt. Auch Roni meinte, er müsse nach Argentinien fahren. Nach dem, was du mir von dem Tagebuch erzählt hast, ist es doch völlig klar, dass dein Vater durchgeknallt ist. Aber was ist mit Neta?, fragte er, und Roni antwortete: Neta ist völlig okay. Und er fragte: Wie geht’s ihm im Kindergarten? Und Roni sagte:

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