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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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nicht gibt. Dass Essen alles umfasst. Ich weiß nicht, vielleicht werd ich das ja besser verstehen, wenn wir anfangen, tatsächlich zu kochen. Doch bei den nächsten Treffen, von denen jedes der Zubereitung eines anderen kreativen Menüs gewidmet war und in einen Teriyaki-triefenden Wettbewerb zwischen den Paaren ausartete, spitzte sich die Lage nur weiter zu. Immer neue Begriffe wurden in die Pfanne geworfen: Concassée – eine besondere Art, Tomaten zu schneiden, von der das Gelingen des ganzen Rezeptes abhing. Eine Mandoline – die hatte irgendwas mit Zwiebeln zu tun (was genau hatte Dori nicht mitgekriegt, denn in dem Moment, in dem der Chefkoch das Wort aussprach, hatte er Zwi Mandolina von den Klezmern von Großvater Fima vor Augen gehabt). Nanoreiben – für besonders kleine Nüsse und auch Käse. Oder hießen die Käsereiben wieder anders? Zwischen diesen neuen Begriffen versuchte der Chefkoch auch noch, ihnen unter der Theke weitere Produkte zu verkaufen: Atlantik-Meersalz für fünfzig Schekel (fünfzig Schekel für Salz!), drei verschiedene Profi-Messer, »denn für ein großes Stück Filet braucht man ein anderes Messer als für feines Carpaccio«, und moderne Silikonformen –»denn Jenaer Glas benutzt schon lang keiner mehr, heute geht nur noch Silikon«, und so weiter und so weiter. Irgendwann verlor Dori die Übersicht über Ronis Zusatzanschaffungen und über die Rezepte und verfolgte den Chefkoch nur noch mit den Augen. Je mehr die Teilnehmer ihren Lehrer bewunderten, umso lächerlicher erschien er ihm, mit dem französischen Akzent, den er sich zulegte, wenn er die Namen der Gerichte aussprach, mit der Art, wie er dauernd seine kurze Studienzeit an der Kochschule Cordon bleu erwähnte, mit seinem Tick, sich unter der Schürze seine Brusthaare zu streicheln, und mit seinem beharrlichen Bemühen, den sehr irdischen Dingen, mit denen er sich beschäftigte, eine tiefere Bedeutung zu geben: »Geduld ist das Schlüsselwort, sowohl beim Zubereiten eines Fischfonds wie auch bei der Liebe.« »Im Leben muss man lernen, Kompromisse zu machen. Aber auch, wo man keine Kompromisse machen darf, etwa bei der Qualität der Zutaten.« Während er dozierte und anleitete und seine Bemerkungen machte, stellte Dori sich vor, wie er in seinem feinen Chefkochaufzug das Geschirr spülte, anstelle der lautlosen Thailänderin, die bei allen Treffen dauernd um sie herum putzte, oder wie er in der ersten Reihe eines Kurses für Verkehrssünder saß, um seinen Führerschein zurückzubekommen. Und Dori machte sich einen Spaß daraus, die Gerichte, die er mit Roni zusammen während des Abends kochte, absichtlich zu verderben, indem er etwas zu viel Salz oder zu viel Wasabi drantat oder viel zu viel Sahne, was dazu führte, dass der Chef degoutiert die Nase rümpfte, und Roni, die jeden, auch den verborgensten Wettbewerb gewinnen musste, unterhalb ihres schönen Halses hochrot wurde und ihn nachher im Stau bei der Einfahrt nach Jerusalem anging, er führe sich auf wie der letzte gestörte Schüler und wie er bitte etwas lernen wolle, wenn er keinerlei Neugier besitze und nicht bereit sei, sich von neuen Dingen mitreißen zu lassen. Das ist keine Frage der Neugierde, sagte er. Was dann?, keifte sie. Ich schaffe es einfach nicht, den historischen Kontext auszublenden. Was für einen historischen Kontext hast du denn jetzt schon wieder im Kopf?, attackierte sie ihn.Und er begann (dabei hasste er sich, dass er ihr nun einen Vortrag hielt): Durch die gesamte Geschichte der Menschheit hindurch entwickelten Völker und Gesellschaften in Krisenzeiten, in Zeiten des Untergangs einen bezeichnenden Hang zum Dekadenten. Und da müsse er sich einfach fragen, ob dieser ganze Workshop und die in den letzten Jahren so obsessive Beschäftigung mit dem Essen hierzulande nicht so etwas sei wie ein zeitgemäßes »Esst und trinkt, denn morgen sterben wir«.
    Ach komm, Dori.
    Was, ach komm?
    Bist du’s nicht auch manchmal müde?
    Was?
    Du selbst zu sein. Willst du dich nicht manchmal einfach vergessen? Und einfach das Leben leben? Die Antwort auf ihre Frage lag ihm fertig auf der Zunge, sie hatten dieses Gespräch ja schon viele Male geführt, doch diesmal lähmte ihn etwas in ihrem Ton. Ihm blieb die Luft weg. Roni sprach zu ihm, wie er zu Schülern sprach, bei denen er erfolglos alles versucht hatte. Als habe sie die Hoffnung schon aufgegeben, als habe nun die Stunde der feinen, distanzierten Ironie geschlagen. Das erschreckte ihn sehr, und

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