Neuland
gebildet und sie trug was sie immer zum Volkstanz anzog – den langen grünen Rock und eine rote Bluse mit züchtigem Ausschnitt und weiße Gymnastikschuhe und sie sagte gleich beginnen die Paartänze magst du mitmachen und ich sagte natürlich und indem ich mich an sie schmiegte sagte ich zu ihr weißt du dass du jedes Mal jünger aussiehst und sie lächelte und sagte vielleicht bin ich am Schluss ja bereit noch einmal geboren zu werden undso haben wir auf dem Dach des Hostels getanzt im Angesicht des Mondes des Sees der Möglichkeit dass … ganz ohne Musik ohne lass unsre Bitten in Erfüllung gehn und ohne Tanzlehrer und wir tanzten auch nicht die vorgeschriebenen Schritte und ich spürte das war vor allem unser zweiter und letzter Abschiedstanz denn jede Liebesgeschichte hat mindestens zwei Enden und so hab ich die Beine ganz langsam bewegt ganz kleine Schritte gemacht damit unsere Geschichte nicht zu schnell vorübergeht und auch sie bewegte sich langsam und verschränkte ihre Finger in meine und schmiegte ihre Wange an meine Wange und kurz bevor sie sich von mir löste kam sie nah an mein Ohr und flüsterte: Der Baron Hirsch, Mentsch. Das hat sie gesagt. Nicht etwa »Ich muss jetzt gehn« nicht »Ich werde dich nie vergessen, Liebster«. Sondern nur: Der Baron Hirsch, Mentsch. Der Baron Hirsch.
Inbar
fragte Dori, ob er etwas trinken wolle.
Nein danke, sagte er, und dann, den Blick immer noch auf dem Bildschirm: Doch, vielleicht ja.
Kaffee oder Tee?
Tee.
Sie fragte ihn nicht, wie viel Zucker, um ihn nicht noch einmal zu stören, und ging in die Teeküche des Hostels.
Dort saß Alfredo, auf einem Stuhl. Die Arme vor der Brust verschränkt. Sein kleiner Bauch wölbte sich unter den verschränkten Armen. Den Kopf nach vorn geneigt, als setze er zu einem Stoß in die Luft an. Wie geht es ihm?, fragte er. Das flirtende Funkeln war aus seinen Augen verschwunden, stattdessen sah sie ehrliche Sorge.
Er liest immer noch, sagte sie.
Das ist muy difícil , was er jetzt durchmacht. An diesem Punkt zerbröseln mir die Kunden zwischen den Fingern wie trockeneErde. Ich hatte eine Mutter aus Schweden. Zwei Wochen lang haben wir zusammen ihre Tochter gesucht. Zum Schluss haben wir jemanden gefunden, der auf einer Party in Antigua, Guatemala, mit ihr getanzt hat. Er hat ihr erzählt, wie ihre Tochter sich verhalten hat. Was sie gesnifft hat, mit wem sie den Club verlassen hat. Und die Mutter wollte es einfach nicht glauben. Der junge Mann wusste, dass ihre Tochter neben dem Bauchnabel ein Muttermal in Form eines Seepferdchens hatte, aber die Mutter war so beknackt, sie glaubte ihm noch immer nicht, und sie war nicht bereit, seiner Information nachzugehen. Zwei Wochen haben wir wegen ihr verschwendet. Zwei Wochen! Und zum Schluss hat sich herausgestellt, dass alles, was er gesagt hatte, wahr gewesen ist. Ich hatte auch mal einen Priester aus Nevada, und in dem Moment, wo er Bilder seines Sohnes in São Paulo mit Huren sah, die einen Schwanz hatten, sagte der mir: Das ist nicht mehr mein Sohn. Und er ist umgekehrt und nach Hause gefahren. So ist das. Je näher dir ein Mensch ist, umso schwerer fällt es dir zu akzeptieren, dass er sich verändert.
Inbar nickte. Der Schalter des elektrischen Wasserkochers schnappte hoch.
Nimm diesen hier, sagte Alfredo und zog einen Teebeutel aus einer Seitentasche seiner Hose. Das ist etwas Besonderes, das wird ihn beruhigen.
Inbar goss das Wasser auf Alfredos Teebeutel, hob dabei den Kessel sehr weit hoch, so wie sie es bei Schula, Ejtans Mutter, gesehen hatte, gab eineinhalb Teelöffel Zucker dazu und rührte um. Langsam. Sie wollte Dori den besten Tee machen, den er je getrunken hatte.
Aber zugegeben, sagte Alfredo, ein Sohn, der seinen Vater sucht, dessen Vater sich plötzlich verändert, das hab ich noch nicht gehabt.
Ich glaube, das ist noch schlimmer. Man erwartet doch von Eltern, dass sie ihre Veränderungen hinter sich bringen, bevor sie Kinder in die Welt setzen, oder?
Alfredo kratzte sich an der schmalen Stelle zwischen seinen buschigen Augenbrauen, als frage er sich: Woher soll ich das wissen.Er streckte seine große Hand aus, wie um sie auf ihre Schulter zu legen, überlegte es sich anders und legte sie wieder in seinen Schoß und bat sie: Señorita Inbar, bitte lies auch du das Tagebuch, in Ordnung? Und wenn es da etwas gibt, was nicht gut ist, wenn sein Vater sich in Gefahr bringen will, por ejemplo , dann sag mir das. Und, hilf dem Mister Dori, eh ? Normalerweise bin
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