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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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Kleinbusse an ihnen vorbeigefahren waren. Der Hauch ihres Atems wärmte seinen Hals.
    Wenn das die Musik ist, die die Götter uns spielen, dann lass uns auf sie tanzen.
    Soll heißen?
    Vamos , rief er, ein jugendlicher, prähistorischer Dori erwachte in ihm, komm, wir bringen unsere Rucksäcke ins erstbeste Hostel und gehen in La Paz spazieren.
    *
    Plötzlich, auf dem Weg zum Hostel, begann er zu tanzen, mitten auf der Straße. Sie kamen an einem Stand mit CDs vorbei, und er nahm den Rucksack ab, warf ihn geradezu von sich, und bewegte sich zu der Musik aus den Lautsprechern. Erst hüpfte er alleine, doch dann nahm er auch Inbar den Rucksack ab, ergriff ihre Hand und wirbelte sie mit sich herum. Nein, ich kann doch nicht tanzen. Sie versuchte zu widersprechen. Macht doch nichts, sagte er, wirbelte sie wieder um sich herum, wir kennen hier niemanden, und außerdem … Er bog sie in einer schnellen Bewegung nach hinten, richtete sie dann langsam wieder auf, nicht völlig an sich gepresst, aber doch sehr nah – Señorita Inbarita, so etwas wie Tanzenkönnen gibt es gar nicht. Es gibt nur Tanzenwollen. Sie versuchte erneut zu protestieren, ließ sich aber trotzdem noch ein paarmal von ihm herumwirbeln, bis das Lied und auch ihr Mut am Ende waren. Gegenüber gab es eine Eisdiele. Sie lösten sich langsam voneinander,hoben ihre Rucksäcke auf, gingen hinein und wählten die merkwürdigsten Geschmäcker, Passionsfrucht, Kiwi, Lychee, Wassermelone, und aßen bedächtig, Löffelchen für Löffelchen. Sie gingen weiter, zu einem Zeitungsstand, und versuchten, die Schlagzeilen zu entziffern – Inbar gab damit an, sie könne schon genug Spanisch, um für ihn zu übersetzen, schaffte es aber nicht wirklich. Er ließ sich davon nicht stören und erfand stattdessen Überschriften, die zu den jeweiligen Fotos passten – ein Mann im steifen Anzug mit einem einfachen Bergmannshelm auf dem Kopf –, »Ich werde nie vergessen, woher meine Familie kam«. »Wir haben keine Wahl, wir müssen schmerzliche Verzichte leisten«, und auch »Bolivien verurteilt Israel«, das passte immer. Inbar lachte, und er zeigte auf eine lange Schlange von Menschen, die hinter einem Sarg herliefen, und sagte, sieh mal, eine Beerdigung, lass uns mitgehn. Spinnst du?, wollte sie sagen, doch er hatte sie schon an der Hand, und sie schlossen sich der dicht gedrängten Menge an und sangen mit ihnen die Trauerlieder, die man leicht mitsingen konnte und die ziemlich fröhlich klangen. Sie hielten einer nach dem andern eine Rede auf den Verstorbenen, der ein wunderbarer Mensch gewesen sei, ganz außergewöhnlich; er habe immer allen geholfen, die Beiträge der Hausverwaltung pünktlich bezahlt, und als die Prozession einige Minuten später einen zu steilen Aufstieg begann, blickten sie einander an und lösten sich, ohne ein Wort zu sagen, aus dem Zug und gingen Borekas suchen, denn Dori hatte gesagt, man müsse nach Beerdigungen Borekas essen, sonst sei es keine richtige Beerdigung, und dabei dachte sie die ganze Zeit: Ich hab es gewusst, ich hab es gewusst, ich hab doch gewusst, dass er auch diese Seite hat.
    *
    In derselben Nacht erzählte sie Dori von ihrem Bruder.
    Sie saßen in einem schlechten Restaurant neben dem Hexenmarkt, das der Lonely Planet aus irgendeinem Grund empfohlenhatte (der ist daran schuld!, rief Inbar, indem sie auf das Foto eines der Verfasser zeigte, die im Vorwort abgebildet waren, Michael Dexter? Ist das nicht der Name eines mochilear ? Aber sieh mal, was für ein gebügeltes Hemd er trägt, ein richtiges Oberhemd!! Ich wette, der hat in seinem Haus in Brooklyn gesessen und sich dort das ganze Kapitel über La Paz aus den Fingern gesogen).
    Der Raum war ziemlich schummrig; auch die brennenden Kerzen auf den Tischen halfen nicht, den Geruch des Dunkels zu vertreiben. Hämmer, Sägen, Messer und Pfannen hingen in buntem Durcheinander an den Wänden. Rechts von der Bar stand ein Mineralwasserspender ohne Mineralwasser; darunter Coca-Cola-Kisten voller Sprite-Dosen. Ein kleiner Raum, sechs Tische. Außer ihnen nur noch ein amerikanisches Rentnerpaar, das auf einer über den Tellern ausgebreiteten Landkarte den nächsten Ausflugstag plante. Der Kellner, der sie auch begrüßt hatte, nahm ihre Bestellung auf und verschwand in der Küche, um das Essen zuzubereiten.
    Sentimentale Musik spielte im Hintergrund. »Ich will mit dir zusammen sein, ich will mit dir zusammen sein, ich will mit dir zusammen sein«, übersetzte Inbar sich im Stillen den

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