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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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räumte ihre Teller ab, und sie spürte, dass ihr Herz verzweifelt von innen gegen ihre Brust schlug und hinaus zu Dori wollte.
    Auf dem ganzen Heimweg waren sie einander zugewandt wie zwei Weingläser vor dem Anstoßen und berührten sich sogar einige Male aus Versehen. Mal die Schultern, mal die Hüften, und einmal elektrisierte sein Ellbogen ihre rechte Brust. Er entschuldigte sich, und sie merkte, seine polnisch-edelmännischen Umgangsformen gefielen ihr: Wie er sich entschuldigte, ihr auf der Straße oder im Bus den Weg bahnte, und dass er, wenn im Restaurant ein Krug mit Wasser stand, zuerst ihr einschenkte. Man merkte ihm an, dass er bereits ein umfassendes Training in Paarbeziehung absolviert hatte. Er wusste, wann er sich bei einer Frau konvex und wann konkav machen musste, und das war ja das ganze Geheimnis. Außerdem gefiel ihr, dass er kein schlechtes Wort über seine Frau sagte. Hoffmann hatte seine Frau immer schlechtgemacht. Sie mochte auch, dass Dori unheimlich viel wusste, ohne dies, wie ihreMutter, die ganze Zeit herauskehren zu müssen. Und dass er nicht lügen konnte, gefiel ihr auch. Obwohl sie sich erst etwas länger als eine Woche kannten, war sie davon überzeugt, Dori würde sie niemals belügen. Und er roch wunderbar. Nicht nach Deodorant. Es war sein natürlicher Körpergeruch (wenn sie den Kopf an seine Schulter legte, schob sie die Nase zu seinem Hals und atmete tief ein). Neugierig war sie darauf, den Widerspruch seiner beiden Körpersprachen zu verstehen: Wenn er lief, war er absolut offen, und wenn er saß, völlig verschlossen. Ein verborgenes Ölfeld, das schon lange auf die Bohrung wartet, um endlich hervorsprudeln zu können: oder eine Pflanze, die man schon lang nicht mehr gegossen hat. Oder ohne alle diese Bilder: Dori wirkte auf sie, als habe man ihn schon lang nicht mehr richtig geliebt, wie es sich gehört.
    Den Weg vom Restaurant zum Hostel lief er tanzend mitten auf der Straße, und sie ging näher am Gehweg, an den Ständen choclo con queso – und die ganze Zeit umgab sie jener Baldachin, der gute Liebespaare vor den Stichen der Welt schützt. So zumindest empfand sie es. Wäre sie sich sicher gewesen, dass er dasselbe Netz empfand, wäre sie (und nicht nur Nessia) in dieser Nacht vielleicht in sein Zimmer gegangen (trotz Ejtan, trotz Hoffmann) und hätte ihn richtig geliebt.
    Beim Radio hatte sie eine Produktionsassistentin gehabt, Revital, die glaubte, wenn ein Mann sie nicht wolle, sei er ein Homo. Und genauso lief sie herum, diese Revital, so redete sie, und so zog sie sich an. Bei Inbar war das Vertrauen, dass sie begehrenswert war, immer viel zerbrechlicher gewesen, sie brauchte Komplimente. Und Dori machte ihr so gar keine Komplimente. Überhaupt sagte er ihr nichts Nettes, und als sie bei ihrem Hostel ankamen, winkte er ihr leicht, die Hand nah an der Brust, und ging schnell in sein Zimmer, ohne sie zu umarmen, ohne sie wenigstens auf die Wange zu küssen, als habe sie ihn nicht gerade eben erst in die dunkelste Kammer ihrer Seele eingelassen.
    *
    Das wäre vielleicht noch zu entschuldigen gewesen, sein Verhalten am nächsten Tag war es nicht.
    Am Morgen hatte sie vorgeschlagen, in der Herberge Sabres im Stadtzentrum, die auch ein Hostel war, essen zu gehen. Sie hatte sich erinnert, dass dies als das inoffizielle Zentrum der israelischen mochileros auf dem Kontinent galt. Ja, ich weiß ja, hatte sie gesagt, als sie seinen Unmut sah, auch ich habe keinen Nerv für diese israelische Clique, aber wenn es uns schon nach La Paz verschlagen hat, dann können wir dort vielleicht noch ein paar Informationen über deinen Vater bekommen.
    Du hast ja Recht, sagte er enttäuscht, und diese Enttäuschung vermochte sie nicht zu deuten. Ich geh nur hoch ins Zimmer und hole die Bilder von ihm.
    *
    Auf den ersten Blick (und auch auf den zweiten) wirkte das Sabres wie die Kneipe in Haifa, in die sie als Gymnasiasten immer gegangen waren: die feuchten Tische, die langen Bänke, die Speisekarten, die zwischen Glas und Tischplatte steckten. Orangefarbene und blaue Vorhänge hingen vor den Fenstern, trennten die israelische Autonomie vom bolivianischen Umland. Drinnen, wie es sich gehörte, eine Gedenkecke mit Seelenkerze, diesmal aber nicht für einen gefallenen Soldaten, sondern für einen Backpacker mit Namen Daniel Ruppin, der, unterwegs nach Yungas, auf der sogenannten Straße des Todes verunglückt war. An den Wänden hingen die typischen Reisefotos, drei Viertel davon Sonnenauf-

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