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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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der Frau ganz natürlich das Kind aus dem Arm,als sei es sein eigenes, zog ihm sein rotes Mützchen ab und legte es auf das Tuch. Danach wedelte er nahe am Gesicht des Babys mit einem Flügel mit langen Federn, raschelte nahe an seiner Nase mit einem Strauß aus Blättern und beträufelte es mit ein paar Tropfen einer durchsichtigen Flüssigkeit aus einer Flasche, auf der Agua de florida stand. Dori brauchte einige Minuten, um sich zu erinnern, woher er diese Abfolge von Bewegungen kannte, dann fiel es ihm ein: aus dem Tagebuch seines Vaters. Genau dasselbe hatte auch der Schamane aus Pascual Abach getan, bevor er seinem Vater den Trank gegeben hatte. Das Baby reagierte nicht. Wenn Neta so etwas passieren würde, dachte Dori, nie im Leben würde er … völliger Unsinn, dass solche Zauberei irgendetwas hilft. Warum bringt sie ihr Baby nicht in ein normales Krankenhaus?
    Don Angel ließ sich nicht verunsichern. Er brachte seine Hände sehr nahe vor das Gesicht des Babys, stieß eine Abfolge von kehligen Lauten aus, die wie Eulenschreie klangen, nahm einen Schluck Agua de florida und spritzte drei oder vier Spritzer davon zwischen den Zähnen hindurch wie ein Wasserspeier in die Luft über dem Rachen des Babys.
    Danach zählte er mit der Mutter in dieser merkwürdigen konsonantenreichen Sprache: eins, zwei, drei, vier.
    Bei fünf begann das Baby zu husten und schlug die Augen auf.
    Später, das Baby krabbelte bereits über den Fußboden, unterhielt sich Don Angel noch lange mit der Frau. Sie versuchte, ihm etwas zu erklären, und er versuchte, es zu verstehen. Dann versuchte er, ihr etwas zu erklären, und sie versuchte, es zu verstehen. Schließlich zog er zwei Zettelchen aus seiner Hemdtasche, gab ein Pulver darauf, faltete sie zusammen, maß einen Faden ab und band sie damit zusammen. Das kleine Päckchen gab er der Frau, und die versuchte noch einmal, ihm etwas zu erklären.
    Ab und zu erkannte Inbar in ihrem Wortschwall auch ein spanisches Wort, und so versuchte sie, eine Bedeutung zu erkennen, eine Geschichte zu stricken.
    Sobald die Frau dem Baby das Mützchen umgebunden und das Haus verlassen hatte, fragte sie Don Angel: Was … hatte das Baby denn? Und sie schob gleich nach: Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich das frage.
    Das ist ganz in Ordnung. Der Schamane lächelte. Es liegt in deiner Natur, mutig zu sein. Und dann schwieg er.
    So ein Quatsch, dachte Dori. Er kennt sie erst fünf Minuten und weiß das schon über sie?
    Don Angel ging zu den Mühlsteinen und nahm den Teetopf herunter. Dann holte er von einem Regal kleine Gläser und goss langsam Mate ein, südamerikanischen Kräutertee, den man Dori schon auf früheren Stationen seiner Reise angeboten hatte.
    Dori konnte Mate nicht ausstehen. Und der Mate, den Don Angel ihnen servierte, war besonders eklig. Bitter wie Galle. Er überlegte sich, ob es ein Sakrileg wäre, um mehr Zucker zu bitten, und nahm aus Höflichkeit einen kleinen Schluck.
    Wenn einem Baby so etwas passiert, antwortete Don Angel auf Inbars Frage, als hätte sie sie gerade eben und nicht schon vor einer Minute gestellt, dann hat das oft etwas mit der Beziehung seiner Eltern zu tun; besonders, wenn es nur ein Kind gibt. Dieses Dreieck: Mutter – Vater – Kind, überhaupt Dreiecksbeziehungen und ihre Geometrie, sind eine komplizierte Sache. Oft sind die Winkel zu spitz, und dann kommt es vor, wenn der Schenkel, der die Eltern miteinander verbindet, nicht sehr stabil ist, dass auf dem Kind zu großes Gewicht lastet. Als er diesen letzten Satz sagte, ruhte sein Blick auf Dori.
    Und was hast du ihr vorgeschlagen? Was kann man in so einer Situation tun?, hörte Dori sich fragen.
    Erst mal habe ich mit ihr geklärt, ob zwischen ihr und ihrem Mann alles in Ordnung ist, und nachdem sie mir erzählt hat, was sie mir erzählt hat, habe ich zwei mit Tabak gefüllte Zettel zusammengeschnürt und sie gebeten, diese Päckchen unter ihr Kopfkissen zu legen. Morgen werde ich dann ein Ritual für sie machen.
    Ein Ritual?
    Um die Herzen einander anzunähern.
    Dori rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Ihm war unwohl. Dieser Schamane schaute ihn an, als wüsste er alles über ihn, als besäße er die Fähigkeit, nicht nur seine Gedanken, sondern auch seine Erinnerungen zu lesen. Das erschien ihm völlig abwegig und machte ihn zudem auch wütend.
    Seit wann tut dir dein Rücken weh, Dori?, fragte ihn Don Angel, wieder mit diesem Blick.
    Wieso? Woher weißt du, dass mir der Rücken wehtut?
    So wie du

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