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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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sie ihm. Das Steak wird kalt.
    Er schnitt ein winziges Stück ab und steckte es in den Mund.
    Du isst ja komisch, weißt du das?
    Ich?
    Ja, das ist mir schon vorhin aufgefallen. Erst schneidest du alles ganz ordentlich klein, und dann verschlingst du es.
    Und das ist komisch?
    Saukomisch. Wir haben zusammen Lieder gemacht, sagte sie, den Blick auf ihr Feuerzeug geheftet, Joavi und … ich.
    Lieder gemacht?
    Er hat gespielt, und ich hab ihm die Wörter gegeben. Damit haben wir schon als Kinder angefangen, wir haben alle möglichen doofen Lieder über andre Kinder in unserer Straße gemacht, die wir nicht mochten. Später verbesserten wir unsere Themenwahl.
    Was hat er gespielt?
    Gitarre. Auch andere Instrumente, aber vor allem Gitarre, überall hatte er seine Plektrons. In der Hemdtasche, in der Hosentasche, hinterm Ohr, im Ärmel. Die riesige Anlage in seinem Zimmer hat die ganze Zeit irgendwas gespielt. In Sachen Musik hatte er einen sehr merkwürdigen Geschmack. Eklektisch. Manchmal hab ich in meinem Zimmer gesessen und geraten, was er wohl als Nächstes auflegen würde, aber ich lag immer falsch. Er konnte nach Shabak Samech Beethoven auflegen, und das stimmte für ihn. Als er eine Freundin hatte, in der elften Kasse, konnte man an dem, was er auflegte, hören, wie weit sie in ihrer Beziehung waren. Er ist zu mir gekommen, um über diese Freundin zu reden, er war besorgt über ihren Sex, nicht besorgt, vielmehr gequält, was es bedeute, dass sie …
    Mitten in ihrem Redefluss kamen ihr auf einmal Zweifel. Ihre Augen fingen an zu glänzen, sie konnte nicht weiterreden.
    Was ist passiert?, fragte Dori vorsichtig.
    Nein, ich dachte nur plötzlich, dass es etwas sehr Persönliches war, was er mir da erzählt hat. Zwar ändert das nichts mehr, denn er lebt ja nicht mehr … aber auf irgendeine Art ist er eben doch …Dori nickte und sagte: Du musst ja nicht …
    Jedenfalls, fuhr sie fort, noch immer schluckend, hat ihn diese Freundin in den Ferien zwischen der elften und der zwölften Klasse sitzen lassen. Für jemand anderen. Wir haben dem in der Familie nicht so viel Bedeutung beigemessen. Vielleicht, weil er selbst keine große Sache daraus gemacht hat. Aber wer weiß. Wer weiß. Weißt du, das ist es, was uns nachher so aufgefressen hat … dass er vielleicht deshalb … hätten wir nur mehr … wenn wir nur … wenn ich nur … über diese Sachen hat er ja nur mit mir geredet … wenn ich rechtzeitig … ich glaub, ich höre hier besser auf, bevor ich noch anfange …
    Im Gegenteil, sagte Dori, und legte seine Augen auf ihre Augen, hör jetzt nicht auf.
    Aber du hast schwer genug zu tragen, da muss ich dir nicht noch meinen Sack aufladen, sagte sie.
    Das eine hat mit dem andern nichts zu tun, erwiderte er, ich kann, … ich will dir zuhören.
    Sie weinte nicht, an diesem Abend, aber wegen dieses so schlichten Satzes »Ich will dir zuhören« erzählte sie ihm viel mehr, als sie vorgehabt hatte. Sogar von Hoffmann, mit dem sie damals zusammen war. Wie sie sich die ganze Zeit gefragt hatte, ob er zur Schiv’a kommen würde oder nicht, darüber erzählte sie nur wenig. Sie ging nicht in die wirklich peinlichen Details, aber trotzdem war das eine Geschichte, die sie noch keinem zuvor erzählt hatte, nicht ihrem Vater, nicht ihrer Mutter, und auch Ejtan nicht.
    Dori verstand und fällte kein Urteil. Sie wartete die ganze Zeit auf das erste Anzeichen der Abgrenzung in seinen Augen, aber es kam einfach nicht. Stattdessen streichelte sein Blick ihr Haar. Wirklich, genau so. Seine Hand hielt zwar noch die Gabel, aber sein Blick glitt immer wieder sanft über ihr Haar, von oben nach unten, vom Scheitel bis zu den Haarspitzen. Und sie fühlte sich gestreichelt. Sie wollte seine Großherzigkeit erwidern und sagte: Ich glaube, wegen Joavi begleite ich dich auf deiner Suche. Er ist zumindest einer der Gründe.
    Was heißt das?, fragte er, obwohl er es im Grunde verstanden hatte.
    Joavi kann ich nicht mehr … aber deinen Vater schon … Es ist noch nicht zu spät, um deinen Vater zu retten.
    Hoffentlich, sagte er ernst. Ich hoffe sehr. Und ich bin froh, dass du mitkommst.
    Um die Wahrheit zu sagen, du hast mir kaum eine andere Wahl gelassen, sagte sie lachend. Du hast mich regelrecht angefleht.
    Ich habe dich angefleht?
    Viel-leicht kommst du doch mit mir mit?, ahmte sie ihn nach und presste die Handflächen aneinander, wie er es getan hatte.
    Er senkte den Blick mit einem Lächeln, das alles gestand.

Inbar
    Der Kellner-Koch

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