Neuland
und untergänge, dazwischen Computerausdrucke mit Nachrichten aus Israel und optimistische Sticker: »Nur Liebe bringt Liebe hervor.« – »Denk gut, dann wird es gut.« – »Es gibt keine Verzweiflung in der Welt.« – »Mit seinem Tod hat er uns den Frieden befohlen.« Im Hintergrund spielte die Band Atraf einen Latino-Rhythmus, der etwas zu gut zu diesem Ort passte, und noch entfernter hörte man Töpfeklappern. Vom Restaurant gingen kleinere Räume ab: einInternetraum mit neun Anschlüssen, die alle besetzt waren, eine kleine Bibliothek, wo man Bücher tauschen konnte (prima, dachte Inbar, endlich werd ich die Schoah-Bücher los, die ich nicht lesen kann), und ein Zimmer mit Ratschlägen für Traveller, nach Ländern geordnet in bunten Ordnern.
Überall hörte man Ivrith. Ab und zu ein Wort in einer anderen Sprache, wie eine einsame Olive auf einem Stück Pizza, aber dieser israelische Ton, den sie, bevor sie Dori traf, möglichst gemieden hatte, beherrschte den ganzen Raum. Zu ihrer Überraschung empfand sie ihn sogar als angenehm. Als eine Art Kompliment. Mindestens dreißig oder vierzig junge Leute, die Hebräisch sprachen, füllten den Raum des Sabres. Die Männer in einer unmöglichen Mischung aus kurzen Hosen, Teva- Sandalen und dicken Indianerpullovern, die Frauen wie Pionierinnen von früher: schlichte Hosen, Sweatshirts und eine persönliche Note zeitgenössischer Weiblichkeit: rosa Stulpen aus Alpakawolle, ein dünner bordeauxfarbener Schal, ein Band im Haar, große Ohrringe, ein feines Goldkettchen am Knöchel.
Eine von ihnen, deren Haar zu Dutzenden von kleinen Zöpfchen geflochten war, sprach Dori an. Lehrer Dori!, rief sie laut, so dass sich ihnen mehrere Köpfe zuwandten, was machen Sie denn hier?
Urlaub, sagte Dori mit einem Lächeln, das Inbar an ihm noch nicht gesehen hatte. Auch ich darf mal Urlaub machen, meinst du nicht, Gal Nassimov?
Sie erinnern sich noch an meinen Namen? Das hätte ich nicht gedacht.
Nicht nur an deinen Namen, sondern auch an deine Abschlussarbeit, Gal. »Eskalationsmodelle zu einem Krieg, den keiner will« , nicht wahr?
Stimmt! Das junge Mädchen war glücklich. Sie müssen wissen, Lehrer Dori, sagte sie und spielte dabei mit ihren Zöpfen, auf dieser ganzen Reise denke ich daran, was ich bei Ihnen gelernt habe. Meine Kumpels haben schon die Nase voll, dauernd von meinem Lehrer Dori zu hören. Zum Beispiel das Ding mit dem kritischenDenken. Das passt so genau auf Südamerika. Man kann sich hier leicht in die Natur verlieben und die weniger tollen Sachen übersehen. Aber in La Paz gibt es ein Villenviertel, Sie glauben nicht, was da abgeht. Dagegen ist Rechavia der letzte Slum. Und dann, in der Parallelstraße zum Sabres , nur ein paar Minuten von hier, schlafen die Leute in Haufen von Bananenblättern.
Dori nickte; eine kleine, aber spürbare Bewegung des Kinns.
Und dann diese Sache, die Sie immer gesagt haben, die eine richtige Version der Geschichte gebe es nicht. Im Lonely Planet steht, die Spanier hätten hier vierhundert Jahre lang geherrscht, aber aus Sicht der Menschen, die hier gelebt haben, hat keiner sie beherrscht, denn sie haben ihre Kultur heimlich weiter gepflegt.
Schön, sagte Dori, lächelte zufrieden. Du hast also schon ein Thema für deine erste Seminararbeit an der Uni.
Wirklich? Denken Sie, ich könnte auf die Uni? Ich meine, dass ich einen B.A. in Geschichte schaffen würde?
Da bin ich mir ganz sicher, Gal, sagte Dori.
Und Sie, Lehrer Dori, sagte sie, klimperte nun mit den Wimpern, machen Sie hier so richtig Trecks und so?
Wir suchen hier jemanden, mischte sich Inbar ein.
Wo? Hier, im Sabres ?, fragte das junge Mädchen, ohne den Blick von Dori zu lassen.
Nein, sagte Dori, der einen Moment brauchte, um wieder zu sich zu kommen. Wir suchen meinen Vater. Er … ist hier unterwegs, hier auf dem Kontinent … und wir haben den Kontakt zu ihm verloren … und versuchen jetzt, ihn zu finden.
Echt?, fragte das junge Mädchen, schaute jetzt auch Inbar an und verarbeitete all die neuen Informationen. Dann ist das also die Frau von meinem Lehrer?
Haben Sie ein Bild von Ihrem Vater?, fragte sie Dori schließlich. Ich kann mich mal bei den Leuten umhören.
Er zog die Bilder heraus, und zusammen zogen sie von Tisch zu Tisch (so wie man beim Hochzeitsessen zwischen den Tischen der Gäste hindurchgeht, schoss es Inbar durch den Kopf), und allewaren sehr herzlich, aber der Einzige, der meinte, Doris Vater zu erkennen, merkte schon im nächsten
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