Neuland
müsst Dafna fragen. Sie ist bei den Kindern. Dahinten, die blaue Tür, hinter dem weißen Vorhang. Nicht klopfen, einfach reingehn.
Dori klopfte trotzdem an die Tür, und da er keine Antwort hörte, drückte er sie vorsichtig auf. Es war der Geruch, der als Erstes den Übergang vom Restaurant in den familiären Bereich markierte: Statt feuchtem Holz rochen sie Feuchttücher. Statt Frittierfett Massageöl. Mitten im Wohnzimmer massierte eine Dafna, die wesentlich jünger war als ihr Mann, ein pausbäckiges Baby auf einer winzigen Matratze. Mit ruhigen, kraftvollen Bewegungen massierte sie die Füße und die Unterschenkel der Kleinen.
Dabei beruhigt sie sich; ich mach das jetzt immer nach dem Baden, sagte sie zu Inbar und Dori, und es klang, als setze sie ein früheres Gespräch fort.
Was ist das für ein Öl, Mandelöl?, fragte Dori, er kniete bereits ganz selbstverständlich neben dem Baby. Dafna gab etwas von der Flüssigkeit in ihre Hand und reichte ihm die Flasche. Er betrachtete sie und brummte etwas, als verstünde er nun.
Und wie heißt die kleine Schönheit?, fragte er. (In Inbars Augen war das Baby nicht schön und schon gar keine Schönheit.)
Iris.
Iris, ein hübscher Name. Klingt bestimmt auch auf Spanisch gut, nicht wahr?
Alle unsre drei Kinder haben Namen, die auch auf Spanisch gut klingen: Sol, Daniel und jetzt Iris.
Inbar merkte, wie vertraut Dori dieser Müttertalk war, und dass alles, was sie jetzt sagen könnte, nur destruktiv wäre. So schwieg sie und schaute sich um. Dieses Wohnzimmer war eine wilde Mischung von »israelischen« Einrichtungsgegenständen – ein Poster von Kandinsky, ein Kleiderständer aus Peddigrohr aus Daliat El-Carmel – und Anschaffungen von bolivianischen Straßenmärkten, wie dem bunten Teppich an der Wand und einer ziemlich Angst einflößenden Galerie von Karnevalsmasken.
Wie lange seid ihr schon hier, in Bolivien?, fragte Dori.
Fast fünfzehn Jahre.
Und warum ausgerechnet Bolivien? Ich meine, wie seid ihr gerade hierher gekommen?
Ich habe hier Familie. Sie sind vor den Deutschen nach La Paz geflohen, in den dreißiger Jahren. Sie haben hier eine Lederverarbeitung aufgebaut. Und achtundachtzig, als Nueba geräumt wurde und wir uns nirgendwo so richtig zurechtfanden, haben sie uns zu sich eingeladen, damit wir ein bisschen zur Ruhe kommen sollten, und inzwischen konnten wir bei ihnen im Betrieb mitarbeiten. Dann sind wir ein paar Jahre gependelt, bis wir dann hier geblieben sind.
Das Baby schrie, und Dafna brach mitten im Satz ab.
Ihr seid einfach geblieben? Dori versuchte, das Gespräch wiederaufzunehmen.
Einfach war das nicht, seufzte Dafna und zog eine Wegwerfwindel aus einem Windelpaket. Nicht dass du denkst, es ist uns leichtgefallen, wir haben viel Sehnsucht, sagte sie und hob die Beine des Babys an, aber das Leben in Israel … ist uns ein bisschen zu stressig.
Und so habt ihr euch hier … eine kleine Landesvertretung aufgebaut.
Das ist kein Witz, sagte Dafna. Vor zwei Jahren haben sie hier die Botschaft geschrumpft, und heute übernehmen wir einen Teil der Dinge, die sie früher gemacht haben. Wir helfen beim Ausstellen von Ersatzdokumenten, wenn jemand seinen Pass verloren hat, wir bewahren Pakete und Briefe auf. Und wenn Leute hier stranden, die kein Geld mehr haben, dann geben wir ihnen welches. Manchmal kriegen wir es zurück, manchmal nicht.
Sie hatte das Baby wieder angezogen und nahm es auf den Arm. Dori holte die Bilder heraus: Ich habe gehört, mein Vater sei hier bei euch gewesen.
Dafna betrachtete die Bilder lange, schaute Dori an und machte den Mund auf, um etwas zu sagen, sagte aber nichts.
Ja?, fragte Dori. Erzähl ruhig. Im letzten Monat habe ich schon so ziemlich alles gehört, was man über ihn hören kann. Mich kann nichts mehr schockieren.
Es ist nichts besonders Erschütterndes, sagte Dafna. Er war mir gegenüber einfach nicht fair. Er hat gesagt, er wolle den Leuten hier einen Vortrag über Kreativität halten, hat mir alle seine Visitenkarten gezeigt, und so habe ich ihn gelassen, obwohl wir hier normalerweise nicht gerne die Bühne für billige Gurus abgeben. Er machte einen … ernsthaften Eindruck auf mich. Es war einen Tag nach dem Sederabend . Wisst ihr, dass zum Sederabend Leute aus ganz Südamerika zu uns kommen? Wir machen hier auch den Gefallenengedenktag, den Unabhängigkeitstag, Rabins Ermordung. Entschuldigt, Iris hat Hunger –
Dafna öffnete die Knöpfe ihrer Bluse, holte eine wunderschöne, absolut
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