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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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betrachten, und tat ihr Urteil kund: Du bist wirklich echt. Wir haben schon gedacht, du wärst eine Fantasie von Natan. Pero , sagte sie und bohrte prüfend den Finger in Lilis Schulter, auch wenn einige der Frauen hier darüber sehr enttäuscht sein werden, du existierst, zweifellos.
    Ich habe mich noch nicht vorgestellt: Gordonia Stirin. Sie packte Lilis Hand und drückte zu. Ich bin euer Primus. Das dritte Rad am Wagen, der Hühnerknochen, der im Hals stecken bleibt, der Lehm auf dem Zimmerboden, die nächtlichen Geräusche, die einen nicht schlafen lassen, die Haare im Waschbecken. Für all das entschuldige ich mich schon jetzt. Ich hätte gern mein eigenes Zimmer, in Argentina hatte ich eins, aber das hier ist eben ein Kibbuz. Alles Allgemeinbesitz, nicht wahr? Übrigens sind ein paar empanadas im Kühlschrank, die hab ich heut früh gemacht. Ihr seid bestimmt hungrig von der Reise. Entschuldigt, dass ich nicht bei euch bleibe. Ich muss gehen. Gleich beginnt das Waffentraining. Un beso , sagte sie, legte zwei Finger an die Lippen und warf ihnen einen Kuss zu – Ciao!
    Gordonia war in Moisés Ville geboren, in einer der ersten Siedlungen, die von den »Juden des Barons Hirsch« in Argentinien errichtet wurden. Ihre Familie, so erzählte sie Lili bei einer Tasse Mate, die sie später aufbrühte, war nach den Pogromen in Kischinew nach Argentinien geflohen. Sie sei dort geboren worden, und als Kind seien Pferde ihre besten Freunde gewesen, und Gänse. Mit vierzehn habe sie für einen Gaucho ihre Jungfräulichkeit aufgegeben; er war kein Jude. Mit fünfzehn habe ihr ein anderer Gaucho, der zu einem Film ins Theater Kadima gekommen war und neben ihr gesessen hatte, gezeigt, wie sie drei Orgasmen in wenigen Sekunden hintereinander bekommen könne, und das werde sie Lili auch gerne zeigen, wenn sie wolle. Sie sei siebzehn gewesen, als ihre Familie, wie viele andere Familien von der Farm des Barons Hirsch, nach Buenos Aires umzog. Mit achtzehn sei die Zionistin in ihr erwacht, dank der Begegnung mit einem Delegierten der Kibbuzbewegung, dessen Haut umwerfend nach Orangen schmeckte. Wie konntet ihr plötzlich in die Stadt ziehen?, habe sie ihren Eltern vorgeworfen. Das jüdische Volk hat keine Zukunft, wenn es nicht das Land bebaut! Und es gibt kein anderes Land, das es wert ist, bebaut zu werden, als das Land Zion!
    In einer mondlosen Nacht sei sie mit ihrem Delegierten nach Palästina geflohen. Auf einem Schiff. Er sei überzeugt gewesen, dass sie heiraten würden – doch Hochzeiten seien nicht ihr Ding gewesen. Was hast du dann mit dem armen Kerl gemacht, als ihr ins Land kamt?, fragte Lili. Was meinst du damit? Schon die Frage erstaunte Gordonia. Ich habe ihn weinend am Strand von Jaffo sitzen lassen. Einer muss schließlich dafür sorgen, dass das Meer salzig bleibt. Dann bin ich in einen Bus gestiegen, der zu einem Kibbuz fuhr. Wie es kam, dass ich ausgerechnet hier gelandet bin? Ich hatte keine Ahnung, bin von einem Kibbuz zum nächsten gefahren, bis ich einen fand, dessen Pferdestall sich sehen lassen konnte. Und so hat es mich in dieses Loch hier verschlagen. Aber jetzt muss ich los. Die Patrouille wartet schon. Un beso , Lili, ciao! Ich komme erst nachts zurück. Deshalb, Lili, wenn du und Natan, wenn ihr ein bisschen … pasarla bien … er hat doch mucho tiempo auf dich gewartet.
    *
    Jeden Tag ritt Gordonia mit den Schomrim aus, dabei hatte sie wie alle Wächter einen Karabiner über die linke Schulter gehängt. Wegen ihrer kantigen Gesichtszüge und des dicken Hemdes, das sie trug, konnte man kaum erkennen, dass sie eine Frau war.
    Sie arbeitete außerdem im Kuhstall, im Hühnerstall und auf den Plantagen. All diese Arbeiten waren ihr vertraut von der Farm des Barons Hirsch, von Moisés Ville. Sie verrichtete sie fleißig, mit Stolz und Leidenschaft, und kehrte abends in die Baracke zu Lili und Natan zurück, mit einem Geruch von Pferdestall und Sperma.
    Die Nächte verbrachte sie hinter einer dünnen Trennwand mit den Schomrim . Jede Nacht mit einem anderen. Lili versuchte, die Ohren zu verschließen, doch selbst dann konnte sie nicht die Eidechsen übersehen, die durch die Ritzen davonstieben, sobald es drüben losging, und auch nicht überhören, wenn Gordonia in Abständen weniger Sekunden Dios! Dios! Dios! schrie, nachdem es vorbei war.
    Lili hatte noch kein einziges »Dios!« erlebt, seit sie im Kibbuz angekommen war. Weil wir überhaupt keine Privatheit haben, hatte sie sich bei Natan beschwert.

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