Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
Vom Netzwerk:
Estherika. Für solche Beine würde ich jemanden umbringen. Bist du gekommen, um unsre Lili etwas aufzumuntern? Buenísimo. Sie ist wirklich ziemlich säuerlich, seit sie hier ist. Vielleicht kannst du ihr erklären, dass Säuerlichkeit sich mit dem Klima hier in Palästina nicht gut verträgt.
    *
    Noch in derselben Nacht hatte sie mit Natan geredet. Und der, wie Esther prophezeit hatte, willigte ein. Wenn du glücklich bist, bin auch ich glücklich. Haifa ist eine schöne Stadt, von überall aus sieht man das Meer.
    Aber wir haben doch all die Jahre vom Kibbuz geträumt, Natan, sagte Lili, etwas erschrocken über seine Zustimmung. Wir wollten doch eine neue, bessere Gesellschaft aufbauen. Mit einer neuen Qualität von zwischenmenschlichen Beziehungen. Nicht in der Stadt und nicht bourgeois. Vielmehr gleichberechtigt.
    Dann haben wir das eben geträumt, sagte Natan. Träume sollen einem doch vor allem helfen, die Realität zu ertragen.
    Was ein Glück, hatte ihm Lili gesagt, als sich der Bus vom Kibbuz entfernte, dass ich dich in der Realität habe. Und sie schämte sich, schämte sich sehr über den ersten Gedanken, der ihr kam, als sie den Carmel sahen: Haifa ist eine große Stadt, da leben viele Leute. Vielleicht werde ich Fima hier treffen.
    *
    Gordonia, so erinnert sie sich jetzt, und überraschend steigt Traurigkeit in ihr auf, war im Unabhängigkeitskrieg ums Leben gekommen. Ein sinnloser Tod. Durch eigenes Feuer. Ein paar Monate später hatte man aus dem Kibbuz angerufen, Gordonia habe einen versiegelten Brief für sie hinterlassen. Mir?, hatte sie sich gewundert. Du bist Lili Blum? Ja, das stimmt. Dann ist hier ein Brief für dich, sagte die Sekretärin am Telefon mit einer Ungehaltenheit, die sie nach dem Krieg bei vielen beobachtet hatte. Komm ihn abholen, binnen einer Woche, sonst werfen wir ihn weg.
    Sie war hingefahren. Da stellte sich heraus, dass Gordonia, bevor sie in den Krieg gezogen war, viele Briefe hinterlassen hatte. Als hätte sie etwas geahnt. Der Brief an Lili enthielt genaueste Anweisungen, wie man zu anhaltenden Orgasmen kam, und zum Schluss noch einen Satz: Ich hoffe, du nimmst dies als Kompensation für mein grobes Verhalten. Herzlich, Dein Primus.
    Bei der Gedenkecke, die man für sie an dem Bach im Kibbuz eingerichtet hatte, hing ein Schild: Im Gedenken an die kämpferische Frau Gordonia (Alberta) Stirin (1922 Argentinien – 1948 Israel).
    *
    Nachts ein Anruf von Inbar. Wenn jemand nachts anruft, sind die Löcher in der geklöppelten Spitze ihrer Erinnerung noch größer.
    Ich bin in Argentinien.
    Gordonia, bist du nicht im Unabhängigkeitskrieg gefallen?
    Ich bin’s, Inbar. Wer ist Gordonia?
    Ah, Inbar! Warum kommst du mich nicht öfter besuchen?
    Ich bin in Argentinien, Omi, hast du das vergessen?
    Wie soll ich es vergessen haben, wenn ich mich nie daran erinnert habe? Was machst du in Argentinien?
    Ich bin unterwegs zu einem Ort, der Neuland heißt.
    Altneuland?
    Nein, Neuland.
    Inbar?
    Ja, Omi?
    Du störst mich mitten in einem Traum. Kannst du morgen früh noch mal anrufen?
    Kein Problem. Ich hab mir nur etwas Sorgen gemacht, denn Mama sagt, dass –
    Meine Liebe, Sorgen machen tut man sich nicht aus der Ferne. Sich aus der Ferne Sorgen zu machen ist, wie sich durch ein Laken küssen oder dem Nationalfonds spenden, statt selbst nach Palästina zu kommen. Wenn du dir Sorgen um mich machen willst, dann musst du schon selber kommen.

Inbar und Dori
    Nachdem Inbar das Gespräch mit ihrer Großmutter beendet hatte, drückten sie sich wieder auf der Rückbank aneinander, Schulter an Schulter, Hemdstoff und Blusenstoff rieben sich. Schon acht Stunden lang, wie von den Quellen des Dan bis nach Eilat. Die endlosen Ebenen waren mal bewaldet, mal grün, manchmal durchzog sie ein Fluss mit so geringem Gefälle, dass man nicht ausmachen konnte, in welche Richtung er floss. Und am Ufer Angler und Kühe, viele Kühe, schwarze mit weißen Flecken, weiße mit schwarzen Flecken, still standen sie da, wie Skulpturen, als habe sich hier tausend Jahre nichts mehr bewegt. Und dennoch, je weiter sie sich von Buenos Aires entfernten, bemerkten sie langsame Veränderungen: Die Landschaft wirkte ärmer, die Straßen waren geflickt, die Kühe mager, Vögel rasteten auf Stromkabeln, die nur auf den ersten Blick aussahen, als wären sie von Mast zu Mast gespannt; in Wirklichkeit hingen sie durch wie Hängematten. Ein Schild offerierte das »Haus fürs Leben« ein Fertighaus, das man mitnehmen konnte, von

Weitere Kostenlose Bücher