Neuland
daran, wie einen der Tod im wahren Leben trifft.
Lili hatte geweint, als sie erfuhr, dass Emily gestorben war. Alleine im Wohnzimmer. Über vieles hatte sie da geweint, Schlingenüber Schlingen verschlungener Sehnsucht. Und seitdem will sie ihr Herz nicht mehr an die Heldin einer Fernsehserie hängen, sie will es nicht, sie kann es nicht, doch wenn man nicht dran hängt, dann – Manchmal riecht sie Natan. Im Wohnzimmer, im Schlafzimmer, und sogar –
Er hatte den Geruch von Zitrusplantagen. Auch nachdem sie den Kibbuz verlassen hatten und schon vierzig Jahre in Haifa lebten, auch als seine ganzen Freunde schon nach Alter rochen, roch Natan noch immer nach den Plantagen.
Den Kibbuz hatten sie drei Monate nach ihrer Ankunft wieder verlassen. Ihretwegen. Sie wollte dort nicht leben, und er wollte, dass sie glücklich war. Wenn bei einem Paar einer unglücklich ist, ist es unausweichlich, dass es am Ende auch der andere wird.
Er hat nicht viel geredet, ihr Natan, aber immer klug. Und er hat sich immer Mühe gegeben, ihr zuzuhören, denn er wusste, wie wichtig Gespräche für sie waren.
Auch sie hat sich für ihn bemüht. Sie hat sich für Fußball interessiert und den Tscholent wie seine Mutter mit Nudeln gekocht, sie hat Miniröcke getragen, als das Mode war, auch wenn sie nicht die Beine dafür hatte –
Und sie hat versucht, sosehr sie nur konnte, Fima zu vergessen.
Warum hatte sie den Kibbuz verlassen wollen? Plötzlich erinnert sie sich nicht mehr daran. So war das in den letzten Tagen oft. Sogar wenn sie auf ihrem Erinnerungsstuhl saß, alles wurde löchrig, wie geklöppelte Spitze –
Als Hanna gestern anrief, um sich gemeinsam mit ihr Sorgen um Inbar zu machen, hatte sie ihre Stimme erst nicht erkannt; sie dachte, es handle sich um eine dieser telefonischen Umfrageinstitute, und sagte, sie sei beschäftigt, und Hanna war natürlich beleidigt. Beleidigtsein war bei ihr chronisch. Was Lili auch machte, am Ende des Gespräches war ihr Mädchen, das inzwischen schon sehr gebildet war und Erfolg im Leben hatte, immer beleidigt.
Lili beneidete Hanna. Denn ihr stand mini wunderbar. Doch wie alt war Hanna überhaupt gewesen, als sie ihr erlaubt hatte,mini zu tragen? Ein löchriges Netz ist ihre Erinnerung geworden, sehr löchrig. Sie beneidete Hanna auch um ihre Tochter, das kann man nicht schönreden.
Heute wird sie den Ventilator vielleicht auf drei und nicht nur auf zwei stellen. Die Erde erwärmt sich, haben sie in den Nachrichten gesagt. Eisberge schmelzen weg. Der Wasserspiegel steigt. Vielleicht reicht im Juli Stufe zwei nicht mehr aus.
Jedes Mal, wenn sie sich das Haus vorgestellt hatte, in dem sie mit Natan im Kibbuz leben würde, hatte sie es ein bisschen verändert. Mal fügte sie einen Schornstein hinzu, mal ein Ziegeldach, mal pflanzte sie im Garten Flieder. Dann wieder entschied sie, dass Chrysanthemen besser ins eretz-israelische Klima passten. Manchmal hatte das Haus drei Zimmer, manchmal zwei und einen großen Balkon. In den Tagen, als sie vor der Küste lagen, hatte sie eine Trennwand zwischen dem Schlafzimmer und dem Zimmer des Babys eingezogen, und in dem Moment, bevor sie auf die Sandbank aufliefen, hatte sie sich entschlossen, die Trennwand wieder wegzunehmen.
Doch niemals hatte es in ihren Vorstellungen von dem Haus im Kibbuz noch eine Mieterin gegeben.
Ich muss dich vor etwas warnen, hatte Natan gesagt, als der Bus auf das Tor des Kibbuz zufuhr.
Weiß ich doch, hatte sie ihn unterbrochen, deshalb habe ich ja nur einfache Kleidung mitgebracht. Wenn ohnehin alle Kleidung Allgemeinbesitz wird, dann –
Nicht das meine ich, Lili.
*
Sie hieß Gordonia. Das heißt, eigentlich war ihr Name Alberta, doch sie bestand darauf, dass man sie Gordonia nannte. Und sie war die Bedingung gewesen, die der Kibbuz Natan gestellt hatte. Wenn du mit deiner Freundin von der Hachschara zusammenwohnen willst, dann kommen wir euch entgegen. Aber ihr müsstnoch einen Primus mit ins Zimmer nehmen. Eine dritte Gefährtin. Für die nächste Zeit.
Schon beim Betreten der Baracke, noch bevor sie »den Primus« sah, hatte Lili den Geruch wahrgenommen, den sie von da an mit Gordonia verbinden würde. Es war der Geruch von Sperma.
Und nach diesem Geruch erschien Gordonia leibhaftig, in Stallstiefeln und einem Männerhemd, das bis über ihre muskulösen Oberschenkel fiel. Willkommen, Señora Lili! Sie erdrückte Lili fast mit ihrer Umarmung, hielt sie dann an der Hüfte, trat einen Schritt zurück, um sie zu
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