Neuland
einem Ort zum anderen. Ein anderes, schon verrostetes Schild kündigte ein Hotel an, doch weit und breit war keines zu sehen. Vielleicht hatte es das mal gegeben, und jetzt war es geschlossen. Fußballtore ließen ahnen, dass hier früher ein Rasen war; jetzt sah man nur noch Unkraut. Immer unberechenbarer wurde die Landschaft, die Seele auch, spärlicher wurden die Dachschindeln auf den Häusern, die Erinnerungen –
Und dann ein Schild: Moisés Ville 10 Kilometer.
Bist du aufgeregt?, fragte Inbar, legte ihre Hand auf seine und ließ sie dort.
Ich weiß nicht, sagte Dori, ich kann noch immer nicht richtig glauben, dass wir meinen Vater dort treffen. Ich habe das Gefühl, wenn wir ankommen, wird er gerade anderswohin aufgebrochen sein.
Disculpe … Señores … we have to stop in Moisés Ville, für ein paar Minuten, stammelte Victorcito.
si ?
Por qué stop?! , fragten beide, beinah einstimmig.
Eine Señorita mitnehmen, die uns nach Neuland führen wird,
Victorcito entschuldigte sich durch den Spiegel; in seinen Augen ständig dieser ängstliche Schrecken. Die Farm liegt nicht in der Stadt, erklärte er, sondern auf einem Gelände zwischen der Stadt und der nächsten, Palacios, und der Weg dorthin ist un poquito kompliziert, und ich kenne ihn nicht. So ist es viel mehr seguro, Señores, por favor .
*
Am Ortseingang von Moisés Ville das Monument eines Schiffes, das aussah wie die Einwandererschiffe, mit einer Inschrift. »Zum hundertjährigen Bestehen der ersten jüdischen Kolonie in Argentinien«, übersetzte Inbar für Dori.
*
Wenn die kleinen Straßen von Tel Aviv wirkten, als würden sie langsam abheben, dann sahen die breiten Straßen von Moisés Ville ein bisschen aus wie ein Landeplatz. Breit, faul und sehr still. Auch Victorcito drosselte das Tempo, als passe er sich dem Rhythmus des Ortes an, und fuhr langsam unter den Blicken der Bewohner durch die Straßen. Es waren die Blicke von Menschen in kleinen Orten, wo jeder jeden kannte und Gäste eine Attraktion waren.
Schließlich hielten sie vor einem wunderschönen alten Haus, beinah baufällig, aber frisch getüncht, mit einer großen Aufschrift an der Vorderfront: Kadima.
Bleibt sitzen, ich rufe unsere Verbindungsfrau, bat Victorcito, momentito , und ich bin zurück.
Jetzt sind wir allein und können uns küssen, dachte Inbar. Doch Doris gesamte Wahrnehmung war nach draußen gerichtet, so schaute auch sie hinaus, als Zeichen ihrer Solidarität. DurchsFenster sah sie eine Synagoge, einen koscheren Schlachter, einen Schuster, das »Büro der Jüdischen Kooperative, gegründet vom Baron Hirsch«. Zwei dunkelhäutige Jungen fuhren auf Rädern vorbei. Eine Gruppe Bier trinkender alter Männer. Ein Fleischrestaurant.
Ein richtiges shtetelito , sagte Dori voll Bewunderung. Das shtetelito ließ Inbar sich auf der Zunge zergehen, und es schmeckte ihr.
Im selben Moment stürzte wie ein Wirbelsturm eine junge Se- ñorita in den Wagen. Sie sprang vorne rein und kniete sich auf den Beifahrersitz mit dem Rücken in Fahrtrichtung, das gerötete Gesicht zu ihnen gewandt.
Cecilia – Aharona
Frieden und Segen mit euch, meine Freunde aus dem Lande Eretz Israel . Beglückt bin ich, euch hier in Moisés Ville zu begrüßen, im Jerusalem von Argentina , und euch den Weg nach Neuland zu zeigen. Ich heiße Aharona, und ich heiße auch Cecilia. Bueno , nennt mich bei dem Namen, der euch besser im Munde liegt. Und ihr? Inbar und … Dori? Weißt du, Dori, dass dein Gesicht dem von Señor Meni Peleg sehr ähnelt? Dein Vater? Wie du nicht hörst, ich meine, was du nicht sagst. Ihr müsst mich entschuldigen, das Hebräisch klingt aus meinem Munde vielleicht etwas lustig nach Lehrerseminar. Wir hier in Moisés Ville lernen Hebräisch am Lehrerseminar. Und wir haben keine Glättung. Es schreit zum Himmel. Deshalb lechzt meine Seele, ins Heilige Land hinaufzuziehen. Doch meine Familie blickt darauf nicht mit guten Augen. Ich werde im Dezember achtzehn, und sie wollen nicht, dass ich mein Leben an die Israelische Verteidigungsarmee hingebe, wie Rosita Verdina, meine Tante, selig ihr Andenken. Bueno , aber habt keine Not. In zwei Wochen findet der Bibelwettbewerb von Argentina statt, und die ersten drei Plätze dürfen hinaufziehen ins Goldene Jerusalem. Wenn ich als Repräsentantin der Provinz Santa Fegewinne, wird auch meine Familie nicht Einspruch stellen. So werde ich meinen Traum wirklichen. Vielleicht werde ich auch desertieren, nach Erez Israel , und dort eine
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