Neuland
Gurken, keine Zwiebel, keine Mayonnaise, ohne zu fragen, was sie verdammt noch mal mit seinem verheirateten Sohn hier mache. Ganz wie Dori. In seiner Gentlemanhaftigkeit hatte der nie die Grenze überschritten. Viele Jahre Erfahrung mit Männern in führenden Stellungen hatten sie die Zeichen solcher Grenzüberschreitungen gelehrt, wenn Sätze etwa mit »Schätzchen, sei so lieb« begannen, oder wenn vor einem einfachen technischen Handgriff, wie den Computer anzuschalten, die Wortverbindung »lass mich mal machen« auftauchte. Nein, das gentlemanhafte Auftreten der Männer der Familie Peleg-Neuland hatte nichts Übergriffiges. Freundliche Hilfsbereitschaft, der ehrliche Wunsch, dass der andere sich wohlfühlt. Eine angenehme Zugewandtheit. –
Die ganze Zeit über, als er die Sandwiches zubereitete, als er dieTeller abwusch und auf das Abtropfgestell von Ikea stellte, das, unglaublich, sogar bis hierher gelangt war, und auch als er ihr auf dem Weg unter sternenübersätem Himmel zum gemeinsamen Abendessen im Zelt der Zusammenkunft seinen Poncho anbot, »denn in Neuland sind die Jahreszeiten gerade andersherum, der Juli ist hier am kältesten«, versuchte sie, in ihm jenen gebrochenen und verwirrten Mann zu sehen, der das Tagebuch geschrieben hatte, und es gelang ihr nicht wirklich.
*
Als sie das Zelt der Zusammenkunft betraten, setzte er sich auf den für ihn reservierten Stuhl am Kopf des Tisches – ein Stuhl, auf dem ein Doktor Gav lag – und lud sie und Dori ein, neben ihm Platz zu nehmen. Langsam versammelten sich die Mitglieder der Gemeinschaft; es waren mindestens dreißig, mehr, als sie auf dem Rundgang mit Sara angenommen hatte. Hauptsächlich junge Leute, doch auch ein paar bereits ergraute. Die meisten sahen aus wie Israelis, aber es gab auch helle Typen mit dem Körperbau von Wikingern. Insgesamt etwas mehr Männer als Frauen, alle sehr einfach und ordentlich gekleidet. Inbar versuchte herauszubekommen, wer von ihnen eine »offenbare Wunde« hatte, und auch das gelang ihr nicht wirklich. Alle wirkten zufrieden, als fühle sich ihre Seele wohl in ihrem Körper. Sie suchte mit den Augen nach Sara, und als sie sie ausmachte, bedeutete sie ihr, sich doch auf den freien Stuhl neben sich zu setzen. Sara kam in ihrem schönen Gang zu ihr und berührte sie freundschaftlich am Arm. Mitglieder der Gemeinschaft gingen zu Doris Vater, um sich mit ihm über Probleme zu beraten, die im Laufe des Nachmittags bei der Arbeit in den Dörfern aufgetreten waren. Einer erzählte, der örtliche Englischlehrer fühle sich davon bedroht, dass nun auch sie die Dorfkinder unterrichteten. Den müssen Sie reden hören, der schafft es, sieben Fehler in einem einzigen Wort zu machen. Eine junge Frau, wohl eine Ärztin, erzählte, die Mutter eines Jungen, den sie behandelt habe, wolle ihr ein Geschenk machen; sie wolle das nicht annehmen, die Frau aber auch nicht verletzen.
Doris Vater antwortete allen ziemlich knapp, sehr sachlich, und verabredete sich mit ihnen für den nächsten Morgen zu einem persönlichen Gespräch. Er war etwas ungeduldig, aber nicht unfreundlich. Nachdem er dem Letzten geantwortet hatte, räusperte er sich.
Guten Abend, Gefährten, begann er und berichtete, sein Sohn sei überraschend zu Besuch gekommen, und deshalb – er wolle sich schon jetzt dafür entschuldigen – werde er in den nächsten Tagen weniger für persönliche Gespräche verfügbar sein. Danach bat er sie alle, sich auf die kommende Zusammenkunft der Vollversammlung vorzubereiten, wo man den Vorschlag einiger Kippa tragender Mitglieder diskutieren wolle, die Küche koscher zu machen. Abschließend erinnerte er noch daran, dass es im Anschluss an das Abendessen ein Konzert der Neuland-Klezmer geben werde.
Danach wiederholte er alles auf Englisch für die, die kein Ivrith verstanden, und einige Sekunden später, wie auf ein Zeichen, begannen die Anwesenden, laut die HaTikwa zu singen, das heißt, ihre lokale Neuland-Version der Nationalhymne.
Solange noch im Herzen
eine jüdische Seele wohnt,
solange noch ein Auge
gen Osten in die Welt blickt,
solange ist unsere Hoffnung nicht verloren,
die zweitausend Jahre alte Hoffnung,
als freies Volk zu leben.
auf unserem einträchtig-friedlichen Weg!
Dori schaute Inbar an, zog die Augenbrauen hoch, als das Lied vorbei war, versicherte sich, dass auch sie staunte. Die Sache mit der Hymne ist am Anfang etwas befremdlich, flüsterte ihr Sara ins andere, Dori ferne Ohr, aber mit der Zeit
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