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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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entsprechend voller Widersprüche, Unzulänglichkeiten und Probleme. Auf vielen Gebieten suchen wir noch den goldenen Mittelweg; über Bemerkungen sowie Anregungen von eurer Seite am Ende eures Besuches freuen wir uns. Beiliegend ein Plan zur Orientierung. Es wäre schön, wenn euer Besuch in Neuland bei euch etwas ins Rollen brächte.

Inbar
    Am Himmel versammelte sich ein Wolkenkollektiv, um zu beraten, ob es regnen würde oder nicht, und sie lief neben Dori in Richtung des alten Farmhauses. Am Wegrand bemühte sich eine Gruppe junger Leute, eine Windturbine aufzurichten und auf einen erhöhten Sockel zu stellen. Es funktionierte nicht. Statt oben stehen zu bleiben, stürzte die Turbine auf sie herunter und alle fielen übereinander. Nachdem alle wieder aufgestanden waren, machte ein junger Mann einen anderen für den Sturz der Turbine verantwortlich, der Beschuldigte schmetterte den Anwurf zurück, und für einen Moment sah es aus, als käme es gleich zu einer ganz und gar nicht gewaltlosen Auseinandersetzung, doch ein Dritter schritt ein und breitete die Arme zwischen den beiden aus wie einen Gedankenstrich. Eine andere Gruppe schmierte Honig aus Gläsern in eine Holzschablone von lateinischen Buchstaben, und Inbar ging neugierig etwas näher heran. Was … macht ihr denn da?, fragte sie ein junges Mädchen mit sehr kurzem Haar, das an dem Buchstaben T arbeitete. Kennst du nicht dieses Lied von Shlomo Bar?, fragte das Mädchen, ohne die Arbeit zu unterbrechen. Ein Lied? Von Shlomo Bar? Inbar verstand nichts. »Man schreibt das Alphabet auf eine Tafel aus Holz, von Alef bis Taw« , hörte sie Dori hinter sich singen, und das junge Mädchen vollendete die Strophe: »Und sagt ihm dann: Schätzchen, leck.« Inbar verstand noch immer nichts. Wir bringen den Kindern in den umliegenden Dörfern nach und nach Englisch bei, erklärte das Mädchen, während es den Querbalken des T vorsichtig nachzog, und wir dachten, das wäre eine leckere Art, ihnen die Materie zu versüßen. Eine tolle Idee, rief Inbar überrascht und wollte sofort mitschmieren, mitunterrichten, mitlecken. Als sie weitergingen, kniff sie Dori leicht in den Ellbogen und sagte: Gib’s zu, das ist eine tolle Idee.
    Er gab gar nichts zu.
    Überhaupt sprach er auf dem ganzen Weg kein Wort. Sie kamen an verschiedenen arbeitenden Grüppchen vorbei (ein Team schnitzte Spielzeug, ein anderes malte Kartons wie Schachbretter an), und Inbar fragte sich, ob sich in einer dieser Gruppen auch der Wandernde Jude versteckte. Sie würde es im Leben nicht herausfinden, es sei denn, sie erwischte ihn in flagranti, wie er eine Geige malte.
    Schließlich endete der Weg; sie erreichten die Herzlallee. Die Zweige der Bäume zu beiden Seiten berührten sich flüchtig; sie spendeten ihnen Schatten und unterhielten sich gleichsam. Unbekannte Blumen in atemberaubenden Farben blühten in großen, gepflegten Töpfen am Wegrand. »Mein Herz wird wieder weit wie ein weißer Wasserfall« , sie erinnerte sich an diese Zeilen eines Gedichtes von Selda, das jemand in der Toilette ihrer Hütte an die Wand geschrieben hatte, und ihr Herz wurde weit. Sollte sie Dori von dem Gedicht erzählen? Sie entschied, dass das jetzt nicht passte, und ihr fiel ein, mit welchen lustigen Formulierungen Cecilia-Aharona Neuland beschrieben hatte und dass sie gesagt hatte, sie wolle nach Erez Israel »desertieren« und eine »Liebe mit weißen Flügeln« finden, so wie sie und Dori.
    Vor dem Eingang des Farmhauses hatte jemand weißen Kies aufgeschüttet. Das wirkte feierlich, und es knirschte angenehm, wenn man darüberging. Zu beiden Seiten der Tür hingen alte, schon rostende Räder eines Pfluges. Sie gingen zwischen ihnen hindurch, betraten das Haus –
    Und wurden von David aufgehalten.
    Wie geht’s euch, Brüder? Er umarmte Inbar lange und gab Dori etwas ängstlich die Hand.
    Du bist nicht am Tor?
    Nur in der Morgenschicht, ab Mittag bin ich hier eingeteilt, am Eingang zum Büro von Señor Neuland.
    Zu dem sind wir gerade unterwegs, sagte Dori und versuchte, an ihm vorbeizugehen.
    Da müsst ihr noch warten, sagte David und stellte sich ihm in den Weg.
    Jetzt ist es vier Uhr, sagte Dori ungehalten.
    Noch drei Minuten. Aber warum steht ihr? Setzt euch, und um vier sage ich ihm, dass ihr hier seid.
    Sie setzten sich.
    Wie am Schabbatmorgen, fauchte Dori leise.
    Was ist wie am Schabbatmorgen?
    Die verschlossene Tür. Alle paar Wochen hat er sich am Schabbat in sein Zimmer eingeschlossen, um zu arbeiten.

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