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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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nicht. Wenn du das Tagebuch gelesen hast, weißt du, dass ich nicht dazu in der Lage war –
    Ein Anruf, Papa, mehr hättest du nicht tun müssen.
    Sein Vater kratzte sich den Bart. Ein bisschen verlegen, mehr nicht. Aber warum musstest du denn selbst bis hierherkommen, Junge? Ich nehme an, man kann auch ein Team losschicken – Du hast vor deiner Abreise keine Rettungspolice abgeschlossen, Papa, und ohne die ist das kaum bezahlbar. Außerdem wollten wir dich auch schützen. Dass deine Kunden nicht denken, du seist völlig durchgeknallt, bevor wir uns selbst davon überzeugt hatten. Verstehst du, wir haben uns um dich gesorgt, während du dir noch nicht mal die Mühe gemacht hast, uns anzurufen.
    Sein Vater tat einen langen, tiefen Atemzug, den Dori noch aus seiner Kindheit kannte. So hatte er geatmet, wenn er und Ze’ela sich morgens nicht schnell genug fertig machten. Oder wenn sie sich stritten. Oder wenn Dori etwas in Geometrie nicht verstand, auch wenn er es ihm schon dreimal erklärt hatte.
    Dorinju, sagte er jetzt, ich bin glücklich, dass du – dass ihr – hier seid. Wir werden noch genug Zeit haben, über alles zu reden, was geklärt werden muss. Ihr müsst doch hungrig sein! Bis zum Abendessen ist es noch lang hin, aber lasst uns in die Gemeinschaftsküche gehn, ich mach euch ein paar Sandwiches.

Inbar
    Es war immer spannend zu beobachten, wie jemand, den man kannte, seinem Vater oder seiner Mutter begegnete. Das war wie ein heimlicher Blick in die Küche, um zu sehen, aus welchen Zutaten die Mahlzeit zubereitet wird.
    Nachdem sie Ejtans Vater getroffen hatte, verstand sie zum Beispiel, woher er seine Begabung für Design hatte. Ejtans Vater war Rechnungsprüfer, aber die präzise Fächerbewegung, mit der er die Tischdecke über den Tisch ausbreitete, und die Art, wie er die schon gelesenen und die noch nicht gelesenen Teile der Wochenendausgabe auf unterschiedliche Stapel legte, waren für sie wie eine nachträgliche Prophetie über Ejtan. Einmal war auch die Mutter von Revital vom Radio – die, die meinte, wenn ein Mann sie nicht wolle, sei er ein Homo – auf ihren hohen Absätzen angekommen, um sich den Wohnungsschlüssel zu holen, und man sah sofort, wo der Ursprung der Angeberei ihrer Tochter lag. Manchmal funktionierte es allerdings auch umgekehrt: Jahre nachdem sie Hoffmanns Auto zerkratzt hatte, kam dessen Sohn einmal zum Radio, um etwas abzugeben. Obwohl er jetzt erwachsen war und den Overall einer Botenfirma trug, hatte sie ihn sofort erkannt, noch von der Zeit, als sie im Café von Ma’os Aviv freitags Hoffmanns Familie beobachtet hatte. Nach ein paar Minuten, in denen sie vergeblich versuchte, mit ihm ein Gespräch anzufangen, war sie zu dem Schluss gekommen, dass der Junge entweder nach seiner Mutter kam oder dass die Blasiertheit seines Vaters ihn auf jene merkwürdige Weise, auf die Eltern ihre Kinder prägen, zu einem Geschöpf gemacht hatte, das sich am liebsten unsichtbar machen würde.
    Jetzt beobachtete sie Dori und seinen Vater. An ihrem Gespräch beteiligte sie sich lieber nicht, so hatte sie Zeit zum Schauen.
    Doris Vater war ein schöner Mann. Schöner als auf den Fotos, die Dori dabeihatte. Fast Paul Newman.
    Er hatte große blaue Augen, und er trug einen wollenen hellblauen Poncho, der sie noch mehr zur Geltung brachte. Sein Bart war lang, aber nicht zu lang, und sichtlich gepflegt. Sein Adamsapfel ragte hervor, genau wie bei Dori. Als die beiden sich nach der Umarmung gegenüberstanden, sah es aus, als würden sich ihre Kehlköpfe im nächsten Moment berühren, und als Dori von dem Tagebuch sprach, schluckte sein Vater und sein Adamsapfel rutschte nach oben und unten, als führte er ein Eigenleben.
    Er stützte seine Hände in die Hüften wie Dori, verschränkte genau wie er die Arme vor der Brust, benutzte dieselben Gesten, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, etwa bei der ausladenden Armbewegung, als er sagte, »wir werden noch genug Zeit haben«, oder bei dem kleinen, energischen Karateschlag in der Luft bei »ihr müsst doch hungrig sein«.
    Es dauerte keine fünf Minuten, da hatte sie auch verstanden, woher Dori die höflichen Umgangsformen eines polnischen Adligen hatte.
    Bevor sein Vater die Tür zu seinem Zimmer aufmachte, hatte er »darf ich?« gefragt und sie dann vor sich eintreten lassen. Und in der Gemeinschaftsküche hatte er ihr eigenhändig ein Sandwich zubereitet und ihre Anweisungen genauestens befolgt: eine dünne Scheibe Tomate, zwei Scheibchen saure

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