Neuland
für die Völker« zu sein. So wie Herzl das vorhergesehen hat. Weißt du, wie wir hier am Freitagabend den Segen sprechen? »Der Du uns erwählt hast mit allen Völkern.«
Statt » aus allen Völkern«? Das gefällt mir.
Dann kommst du nachher mit?
Gern. Wie läuft das?
Kannst du reiten?
Nein.
Das solltest du bei Gelegenheit lernen. Das ist einfach super. Dann geh jetzt zu dem, der die Arbeitspläne macht, und lass dich einteilen, der findet für Dori und dich einen Platz auf einem der Pick-ups.
Und wo sitzt dieser Verantwortliche?
Hast du den Plan dabei?
Inbar zog den zusammengefalteten Plan aus der Hosentasche, und Sara breitete ihn aus und zeigte ihr mit dem Finger den Weg: Du biegst nach rechts auf den Kingscourt-Weg, gehst an den Tomatenbeeten vorbei zur Servicehütte, und dann siehst du ihn schon links vom Probenbereich für die Klezmer sitzen.
Inbars Blick fiel auf die Zeichnung, die den Platz der Proben markierte. Statt einer Gitarre, wie man hätte erwarten können, oder statt Noten, war dort eine Geige eingezeichnet. Jene Geige, die sie von vielen Wänden schon gut kannte. In ihr flammte etwas auf.Weißt du, wer diesen Plan gezeichnet hat?
Warum?
Nur so. Ich hab noch nie so einen Plan gesehen, das ist ein kleines Kunstwerk.
Ja, sagte Sara mit einem Seufzer, Jamili ist wirklich sehr begabt. Wahnsinnig verwundet, aber unglaublich begabt.
*
Als Inbar und Sara aus dem Haus gingen, blies ihnen ein starker Wind entgegen, der die zwischen den Bäumen baumelnden Hängematten schüttelte. Auf der Herzlallee waren einige Gefährten dabei, bunte Glühbirnen in der Form von Früchten in die Bäume zu hängen. Hohe Leitern wurden an die Baumstämme gelehnt, und Inbar dachte, wie bei der Ernte, nur umgekehrt, und außerdem dachte sie: Diese innere Begeisterung hier, so verrückt sie auch ist, reißt einen mit, sie schiebt jeden Widerstand beiseite und lässt die Gleichgültigkeit schmelzen. Noch ein paar Tage hier, und wer weiß, vielleicht werde auch ich –
Von hier soll der Strom zu den Lampen kommen, erklärte Sara und zeigte auf die Windturbinen. Die sind viel besser als der Generator mit seinem ständigen Geknatter, meinst du nicht?
Sara!, rief jemand begeistert, Gäste sind angekommen! Zwei Männer und eine Frau, und, halt dich fest, sie sagen, sie kämen aus dem Libanon!
Libanesen? Saras Augen leuchteten. Bist du dir sicher?
Das haben sie gesagt.
Wenn das stimmt – das wäre wunderbar! Sara wandte sich zu Inbar und erklärte: Señor Neuland hat visioniert, dass das eines Tages geschehen würde. Er sagte, das würde eine der größten Herausforderungen für uns. Unsre Beziehung zum anderen. Gerade in diesem Punkt könnte Neuland, gerade weil es exterritorial ist, Erfolg haben. Hör zu, ich glaub, ich sollte jetzt zum Tor gehen.
Klar, völlig klar, sagte Inbar und dankte ihr noch mal.
Keine Ursache, sagte Sara mit einem verlegenen Lächeln, das gar nicht zu ihrem sonst so sicheren Auftreten passte, ich würde mich wirklich freuen, wenn du in Neuland bleiben würdest. Ich habe hier noch keine richtige Freundin, und das fehlt mir.
Auch mir fehlt eine gute Freundin, sagte Inbar, wollte Saras Großherzigkeit erwidern. Wenn ich eine richtige Freundin hätte, dachte sie, würde ich vielleicht nicht einem verheirateten Mann vorschlagen, mit in meine Hütte zu kommen. Und sie sagte: Und wenn ich nicht bleibe, können wir uns sehen, wenn du ins Ursprungsland zurückkommst.
Falls ich ins Ursprungsland zurückkomme, stellte Sara klar. Das habe ich noch nicht entschieden.
Wir überlegen, dass vielleicht ein paar von uns zurückfahren und in Jerusalem gemeinsam eine Wohnung mieten und dort anfangen neuzulanden, ich meine, anfangen, etwas zu verändern. Andererseits ist es für mich sehr kompliziert im Ursprungsland, mein kleiner Bruder … ist vor einem Jahr auf dem Golan umgekommen.
Auf dem Golan?
Bei einem Manöver hat ein Panzer auf ihn gefeuert.
Ich … das tut mir so leid. Ich meine, ich kann mir vorstellen, was du durchgemacht hast.
Überall wo ich danach hingegangen bin, habe ich ihn als Hologramm gesehen. Er sah so echt aus, dass ich die Hand nach ihm ausgestreckt habe – ich bin mitten auf der Straße stehn geblieben und habe die Luft berührt, kannst du dir das vorstellen? Erst hier hat das aufgehört. Seit er getötet wurde, hab ich nichts mehr fühlen können. Keine Liebe, keinen Hass, kein Glück. Noch nicht einmal Trauer. Es war, als hätten sich lauter Wolken in meiner Brust
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