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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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Körper vom Zwerchfell aufwärts mit aller Kraft gegen diese Erinnerungen aufbäumte, wütend über diesen so plumpen Versuch –
    Warum genug, Dori? Weißt du, ich beginne hier jeden Morgen mit Weinen. Ich sitze da und beweine die Mama, eine halbe Stunde lang. Danach beginne ich den Tag. Freudig.
    Das bist du, Papa. Ich bin anders. Ich habe einen anderen Rhythmus. Ich bin noch nicht dazu bereit –
    Weißt du was?, sagte sein Vater – also der offene, zuhörende Mann, zu dem sein Vater geworden war, oder der er zumindest vorgab, geworden zu sein –, du hast Recht, Dorinju, nimm dir die Zeit, die du brauchst.

Inbar
    Das Auffallendste war das innere Feuer dieser Leute. Woran man inneres Feuer erkennt? An den roten Lippen, an den vielen Handbewegungen, dem erwartungsvollen, etwas vorgebeugten Sitzen, wie Läufer kurz vor dem Start. Neun Leute saßen in einem Zimmer nach vorne gebeugt um einen runden Tisch und schauten sich vielsagend an. Einfälle wurden in den Raum geworfen, kreuzten sich in der Luft mit anderen, und dabei kamen neue Ideen heraus. Eine Tasse Mate wurde mit einer bombilla aus Metall herumgereicht, nicht der Reihe nach, sondern man gab sie, wem man wollte, und wer sie bekam, nahm einen kleinen Schluck und reichte sie weiter. Inbar saß dabei etwas abseits, soweit man an einem runden Tisch abseits sitzen konnte, und lauschte einer Sprache, die zwar wie Hebräisch klang, aber Ausdrücke enthielt, wie »spitzverwundet«, »Ursprungsland«, oder »neu-landen«. In den ersten Augenblicken dachte sie, sie würde nie verstehen, worüber die redeten, als stammten diese Leute aus einer völlig anderen Geschichte als sie, doch dann fügte sich ein Stückchen zum andern, und in ihr entstand ein klareres Bild der Unterhaltung. Die größte Auseinandersetzung, so schien es ihr, hatte sich an zwei Paragraphen der zukünftigen Verfassung von Neuland entzündet. Der eine handelte davon, welche Rolle, wenn überhaupt, das Judentum im täglichen Leben spielen sollte. Den anderen hatte Jamili unter dem lachenden Beifall der anderen unter der Überschrift »Wer ist ein Neuländer?« subsumiert; er sollte klären, wer als Mitglied in Neuland aufgenommen werden konnte und wie sich der Wunsch, allen Nationen gegenüber offen zu sein, mit dem Bedürfnis verbinden ließ, eine bestimmte Atmosphäre zu bewahren, die noch irgendwie mit dem »Ursprungsland«, also mit Altneuland zusammenhing.
    Sara dirigierte die hitzige Diskussion. Mit ihrem Blick als Dirigentenstab brachte sie die dominanten Redner zum Schweigen und lockte die zurückhaltenden aus der Reserve. Wenn es zu persönlich wurde, lenkte sie die Diskussion mit wenigen Worten zurück indie Gefilde der Utopie, und wenn sie ab und zu in eine Sackgasse gerieten, kam ihr Jamili zu Hilfe und sagte mitten in das drückende Schweigen hinein: Brüder, was gäb ich jetzt für einen Becher Hüttenkäse. Aber nur Neuland-Eigenproduktion, rief Sara mit erhobenem Zeigefinger, wo alle Körner gleich sind! Und immer tolerant, fügte eine andere junge Frau hinzu, und alle lachten, und jeder setzte seine eigenen Gelüste mit auf die Liste, Gelüste nach Cafe Hafuch , nach Tscholent , nach Kubbe-Chamusta - Suppe , nach den Falafeln von Atzir in Hadar Josef.
    Sie können über sich selbst lachen, dachte Inbar, das ist ein gutes Zeichen, und wollte ihr Gelüst auf Großmutters süßes Möhrengemüse hinzufügen. Doch die anderen wischten sich bereits den Speichel von den Lippen und kehrten zu ihrer Diskussion zurück.
    Schon Jahre, dachte sie, im Grunde seit der sozialistischen Jugendbewegung, habe ich mich an keiner Grundsatzdiskussion mehr beteiligt und nicht mehr versucht, für mich zu formulieren, woran ich glaube. Aber nicht nur ich, alle um mich herum sind Skeptiker, haben still und trübe resigniert, alle halten sich von vornherein aus allem raus, nehmen die Dinge als gegeben hin, ziehen sich auf ihre privaten Immobilien zurück. Alle meinen, es lohne sich nicht, über die Zukunft zu reden, alles sei ein abgekartetes Spiel und drehe sich sowieso im Teufelskreis des »so ist das eben«, und aus dem gebe es kein Entrinnen.
    Sara sprach sie an: Und was meinst du dazu?
    Entschuldige, sagte Inbar und errötete, ich habe an etwas anderes gedacht … wozu?
    Zum Judentum und zu seiner Rolle in dem, was wir hier aufbauen wollen.
    Ich bin mir nicht sicher, ob ich schon richtig verstehe, was ihr hier vorhabt, gab Inbar zu, und Sara lächelte sie anerkennend und ermunternd an. Aber, fuhr sie

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