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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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ihnen eine substanzielle Erfahrung zu ermöglichen, bevor sie in den Überlebenskampf zurückkehren. Ihnen etwas zu bieten, was diese enorme Energie, die in ihnen gefangen ist, freisetzt.
    Was genau meinst du mit gefangener Energie, Papa?
    Ich will versuchen, dir das aus einer anderen Richtung zu erklären. Ein junger Mensch fährt ins Ausland. Die Entfernung ermöglicht es ihm, mehr über sich selbst und über den Ort, von dem er kommt, zu verstehen, und dann gibt er sich alle möglichen Versprechen. Wie er sein Leben umkrempeln will, dass in Zukunft alles anders werden soll. Doch wenn er in sein Land zurückkehrt, zerschmelzen die Versprechungen in der Hitze und werden vom Alltag zermalmt. Daher kam mir die Idee, dass man für diesen Mensch, für solche Menschen ein geschütztes Umfeld schaffen muss, in dem sie das, was sie sich auf persönlicher und auf gesellschaftlicher Ebene vorgenommen haben, umsetzen, noch bevor sie in den Flieger nach Hause steigen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, wie so ein geschütztes Umfeld aussehen könnte. Ich hatte noch keinen Ruf bekommen.
    Dieser Ruf? – ich habe keine Ahnung, Papa, wovon du sprichst.
    Verzeih, das ist die Sprache, die wir hier in Neuland verwenden; ich vergesse immer wieder, dass sie nicht so leicht zu verstehen ist.
    Mein Tagebuch hast du gelesen, nicht wahr? Hör mal, ich weiß eigentlich nicht, was du daraus hast ziehen können. Es ist in so großer … Erregung …
    Ich habe verstanden, dass deine Reise Erinnerungen an Jom Kippur ausgelöst hat.
    Das stimmt. Sein Vater löste sich von dem Geländer und führte ihn zurück ins Zimmer. Komm, sagte er, zog ihm einen Stuhl heran, setz dich zu mir. Er sprach in einem ganz neuen Ton, den Dori an ihm nicht kannte.
    Sie setzten sich nebeneinander. Der Rand des weißen Ponchos seines Vaters berührte beinah sein Knie.
    Es musste für dich sehr befremdlich gewesen sein, das zu lesen.
    Ja, weil du nie …
    Auch mir selbst nicht …, sein Vater seufzte und sagte nichts weiter, schaute nur nachdenklich ins Leere.
    Der Vater, den er kannte, hasste die Stille. Und auch Schweigen und Pausen und Blicke ins Leere.
    Alle meine … Leitsätze haben sich als wertlos erwiesen, als deine Mutter starb, bekannte er schließlich. Alles, was ich vorher über mich gedacht habe, über den Sinn des Lebens, über das Land, in dem ich geboren bin, hat plötzlich seine Gültigkeit verloren. Da bin ich sehr erschrocken, aber im selben Moment spürte ich auch, dass es keinen Sinn hatte, mich dem zu widersetzen, dass ich es zulassen musste, auseinanderzubrechen, um mich wieder neu zusammenzusetzen. Kannst du das verstehen?
    Ich kann das verstehen, obwohl …
    Obwohl … was?
    Doris Blick wanderte zu dem Fernschreiber in der Ecke des Zimmers, und er dachte, wenn der funktionieren würde, würde ich jetzt an Ze’ela telegrafieren: HABE PAPA GEFUNDEN PUNKT ABER NICHT GENAU DEN PAPA DEN DU KENNST PUNKT ER WILL PLÖTZLICH REDEN PUNKT ABER IM MOMENT NERVT MICH DAS ENDE
    Obwohl was … Dorinju?, fragte sein Vater noch einmal.
    Obwohl ich es mir noch nicht … noch nicht … erlaubt habe,auseinanderzubrechen, antwortete er schließlich mit einem leicht spöttischen Unterton, er konnte nicht anders.
    Es ist nicht gut, Dori, alles in dir wegzuschließen, sagte sein Vater und legte ihm die Hand auf die Schulter (sein Vater! legte ihm die Hand auf die Schulter!). Und dann fragte er plötzlich: Erinnerst du dich, wie Mama bei Witzen immer die Pointen versaut hat?
    Ja, ich erinnere mich (seine Mutter hatte es geschafft, auch die tollsten Witze kaputt zu kriegen, indem sie die Pointe gleich am Anfang erzählte oder einfach wegließ. Und manchmal verwechselte sie die Pointen von zwei Witzen, die sie am selben Tag gehört hatte. Sie war auch in der Lage, so etwas zu sagen, wie: »Dann sagte der Hase, der Baum fällt nicht weit vom Apfel«).
    Und ihr Käse? Erinnerst du dich, dieser Geruch!
    Natürlich (seine Mutter war ganz versessen auf stinkenden Käse gewesen. Im Kühlschrank hatte sie ein extra Fach mit Stinkkäsesorten aus aller Welt).
    Und wie sie dich, als du es beim Militär schwerhattest, mit ihren Geschichten von der Inquisition beruhigen wollte? Dir von Leuten erzählt hat, die, zum Rudern verurteilt, ein ganzes Jahr in einem Schiffsbauch sitzen, ohne auf Deck gehen zu dürfen, und wie sie dir dann gesagt hat, siehst du, Dorinju, es gibt schlimmere Strafen, als ein Fernglas zu halten –
    Genug, Papa, sagte Dori, er spürte, wie sich sein

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