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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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fort, wenn ihr hier alle noch einmal neu landen wollt – Sara nickte zustimmend –, dann sollte man vielleicht auch damit noch mal ganz neu anfangen.
    Was meinst du damit?
    Ich meine, in eurer Diskussion redet ihr vom Judentum in der Form, wie es heute in Israel, entschuldigt, im Ursprungsland, existiert. Stimmt, ihr seid Juden, ob ihr es wollt oder nicht, aber im Grunde könntet ihr auch ein neues Judentum entwerfen, das besser zu euch passt.
    Eine neue Strömung innerhalb des Judentums?
    Warum nicht? Heute gibt es drei Strömungen – warum denn nicht vier?
    Die Jamilen, schlug Jamili vor. Nachdem das Gelächter sich beruhigt hatte, diskutierten sie ihren Vorschlag weiter, analysierten, verirrten sich und schnitten dabei einen riesigen Salat aus frischem Gemüse, den sie aus Holzschälchen aßen, diskutierten weiter und machten wieder Witze und auch Kompromissvorschläge, zitierten aus der Heiligen Schrift, aus Altneuland , aus Liedern von Ehud Banai, und all das mit einem inneren Feuer, das Inbar schon lang nicht mehr in sich gespürt hatte, weder bei der Arbeit noch zu Hause, und dieses Feuer weckte in ihr ein bisschen Spott und gleichzeitig Bewunderung.
    Nach der Sitzung blieben nur sie und Sara im Zimmer zurück; die Gedankenfunken surrten noch in der Luft.
    Wie war das jetzt für dich?, fragte Sara und tippte sie freundschaftlich an die Schulter.
    Merkwürdig und interessant.
    Solltest du dich entscheiden hierzubleiben, würde ich mich freuen, wenn du bei unseren Gedankentouren mitmachen würdest.
    Hierbleiben? Daran hab ich ehrlich gesagt noch nicht gedacht.
    Die meisten Leute, die bei der Sitzung eben dabei waren, sind hier zufällig vorbeigekommen, und geblieben, um so etwas mal mitzuerleben; früher oder später haben sie sich mit dem Virus angesteckt und sich dann zum Aufnahmegespräch bei Señor Neuland gemeldet.
    Hat er auch schon Leute abgelehnt?
    Nicht viele.
    Wie viele sind nicht viele?
    Drei, gestand Sara. Einer ist mitten in einer Diskussion der Arbeitsgruppe Verfassung wild geworden und hat randaliert. Das war ziemlich schlimm. Er hat einen Tisch auf mich geworfen. Ich hatte etwas gesagt, was ihn aus der Fassung brachte. Dann war da ein Mädchen, das den ganzen Tag allein auf der Bank saß und sich die Fingernägel ins eigne Fleisch bohrte. Señor Neuland sagte, es sei wohl besser, wenn sie erst mal zu ihren Eltern im Ursprungsland fahren würde, bis sie sich wieder gefangen habe. Der Dritte war ein zugedröhnter Holländer, der überhaupt nicht kapiert hat, wo er war, und versuchte, den Leuten hier Haschisch zu verkaufen.
    Und … sag mal … muss Señor Neuland alles absegnen, was ihr heute in der Arbeitsgruppe Verfassung beschlossen habt? Wenn er der Visionär dieses Ortes ist … dann versteh ich nicht so richtig, wozu ihr überhaupt –
    Das kommt aus beiden Richtungen. Es gibt Ideen, die wir ihm vorlegen, und auch Fragen, die er uns zur Diskussion vorschlägt.
    Aber er hat das letzte Wort, nicht wahr?
    Nein, der Sanhedrin .
    Der Sanhedrin ?
    Unsere Vollversammlung. Das ist keine Sekte hier, Inbar. Obwohl ich mir vorstellen kann, dass es von außen vielleicht manchmal so wirkt. Du musst verstehen, wir werfen uns vor Señor Neuland nicht nieder, wirklich nicht. Wir haben nur großen Respekt vor ihm. Er hat diesen Ort visioniert, so wie Herzl den Judenstaat visioniert hat, und deshalb hat er eine Sonderstellung. Aber auch Herzl hatte Opponenten, das weißt du ja. Und auch Herzl hatte Pläne, die er nicht hat durchsetzen können.
    Und wer leitet das Ritual am Donnerstag?
    Er, sagte Sara und nahm ihr Haar zu einem streng wirkenden Pferdeschwanz zusammen, aber über das Ritual … bin ich nicht befugt zu reden.
    Dass geschlossene Gesellschaften immer irgendwo ihr Geheimnis haben müssen, dachte Inbar. Nur damit die, die dazugehören,das Gefühl haben, dass sie etwas wissen, was die anderen nicht wissen. Und obwohl das eine ganz offensichtliche Manipulation war, musste sie zugeben, dass sie auch gern bei so einem Ritual dabei wäre. Nur um die kleine Chance zu bekommen, vielleicht Joavi zu begegnen.
    Lass gut sein, sagte Sara, indem sie den Pferdeschwanz löste und ihr Haar wieder fallen ließ – das Ritual ist ein Bonus. Es ist nicht der Kern der Sache. Ich fände es viel wichtiger, dass du uns heute Nachmittag zu unseren Einsätzen in die Dörfer begleitest. Das war es, was mich an Neuland gepackt hat: endlich aufzuhören, als Getriebene der Schoah zu leben und stattdessen anzufangen, »Licht

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