Neuland
Es schmeckt nicht. Er bestellt Wasser. Er bekommt Wasser mit Kohlensäure, aber es ist ihm unangenehm, es zurückgehen zu lassen. So trinkt er jetzt Soda, genau wie sein Vater, und zu seiner Überraschung ist ihm der salzige Geschmack ganz angenehm.
Ein großer alter Radioapparat, wie der, der seinerzeit Israels Unabhängigkeitserklärung in den Vereinten Nationen gesendet hat, steht auf einem Brett und sendet mono eine Fußball-Liveübertragung. Links und rechts des Apparats stehen leere Bierflaschen mit einem Schild »cervesa« . Noch einige Tage werden vergehen, bisDori lernt, dass das kein Markenname ist, sondern das spanische Wort für Bier, für jedes Bier.
Alfredo unterhält sich schleppend mit dem Besitzer. Dori schnappt einige Wörter auf: » padre «, »Otavalo« , »Jerusalén«. Jerusalén? Der Mund des Besitzers bleibt vor Staunen offen, und man sieht seine faulen Zähne. Plötzlich redet er ganz erregt, sein Blick springt zwischen Alfredo und Dori hin und her.
Alfredo übersetzt: Er sagt, bei euch in Jerusalén gibt es eine Mauer, wo man in die Ritzen … der Steine … Zettelchen stecken kann, mit Bitten an Gott!
Dori nickt.
Er fragt, ob du einen Zettel von ihm mitnehmen würdest und da … in diese Wand reinstecken … wenn du wieder in Jerusalén bist.
Nicht zu glauben, denkt sich Dori und sagt: Kein Problem.
Aber es gibt ein Problem. Der Mann kann nämlich nicht schreiben und muss seinen kleinen Sohn losschicken, damit der seinen großen Sohn ruft, der ein paar Jahre in Quito zur Schule gegangen ist.
Alfredo, kannst du das nicht für ihn machen, schlägt Dori vor.
Doch Alfredo erklärt ihm, es sei für Jesús sehr wichtig, dass der Sohn diese Bitten schreibt, und er schlägt Dori vor, ihm in der Zwischenzeit die Fotos seines Vaters zu zeigen.
Dori zieht die Bilder aus der Tasche und legt sie auf den Tisch, neben die Inka Cola. Jesús nimmt sie in die Hand, betrachtet sie ausführlich, schaut dann Dori lange an und murmelt: Si, si si.
Hoffnung erwacht in Dori. Si bedeutet ja! Doch als Alfredo ihm die nächsten Sätze übersetzt, versteht er, dass Jesús nur gesagt hat, er sehe seinem Vater auf dem Bild ähnlich.
Hat er ihn gesehen?
Nein, gesehen nicht.
Das hat aber nichts zu bedeuten, sagt Alfredo, legt ihm die Hand auf die Schulter, um ihn gleich zu beruhigen. Das hier ist ein kleiner Pfad, den nur wenige Leute benutzen.
Warum hast du dann überhaupt vorgeschlagen, dass ich ihm die Bilder zeige?, fragt Dori ärgerlich. Alfredo schweigt, nimmt aber die Hand von seiner Schulter.
Nach einer Ewigkeit kommt der Junge, der mal zur Schule gegangen ist, mit einem Rechenheft, und der Vater diktiert ihm den Zettel. Das Haar des Jungen fällt ihm in die Augen; er wischt es sich immer wieder mit schnellen Bewegungen aus der Stirn. Er schreibt langsam, jeder Buchstabe wird mit großer Anstrengung gleichsam gemeißelt, und Dori denkt sich, der könnte jetzt eigentlich seine eigene Bitte an Gott aufschreiben, zum Beispiel, »einfach nur weg aus diesem Loch«, und Jesús würde es nie erfahren, so sehr ist der Vater abhängig von seinem Sohn.
Der Junge schreibt fertig und reicht Jesús den Zettel, der schaut ihn lange an, als könnte er lesen, faltet ihn dann sorgfältig zusammen, so wie man ein gebügeltes Hemd faltet, küsst das Papier und reicht es Dori.
Gracias , sagt er mit glänzenden Augen.
Por favor , versucht sich Dori.
No por favor , korrigiert ihn Alfredo, por favor is please, say de nada.
De nada, versucht Dori es noch einmal. Jesús nickt und wartet gespannt, was Dori mit dem Zettel macht.
Er steckt ihn in seinen Pouch, überlegt es sich aber anders und schiebt ihn in die kleine Tasche seiner Jeans. Jesús bestätigt mit seinem Blick, dass dieser Ort ehrenvoll genug ist, und bietet ihm noch eine Inka Cola an, auf Rechnung des Hauses. Dori lehnt ab. Nicht noch einmal diesen Sirup. Inzwischen hat der Regen aufgehört, die Sonne kommt erstaunlich schnell hervor, und Dori möchte schon weiter.
Ein Regenbogen erscheint am Himmel, und sie sagen Ciao zu Jesús und seinen Söhnen und fahren dem Regenbogen entgegen.
Wie lange hat er einen solchen Regenbogen nicht mehr gesehen, in dem alle Farben einzeln sichtbar sind, fragt sich Dori und erinnert sich an den letzten Familienurlaub in Bethlehem in Galiläa, an jenes Wochenende, das das Fass zum Überlaufen gebracht hatte.
Er und Roni hatten vom ersten Moment der Fahrt an gestritten; im Grunde schon bevor sie losgefahren waren. Schon beim
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